Rezension

Knaller-Thriller und Paukenschlag-Auftakt einer neuen Reihe

Die Verlorenen -

Die Verlorenen
von Simon Beckett

Bewertet mit 5 Sternen

Warum Jonah Colley, Scharfschütze einer Londoner Polizeieinheit, dem Hilferuf seines ehemaligen Kumpels Gavin folgt, weiß er selbst nicht so genau. Was er am Treffpunkt vorfindet, ist jedoch glasklar: vier in Plastikfolie eingewickelte Körper, darunter der seines ehemaligen Freundes. Beim Versuch zu retten, was zu retten ist, wird Jonah niedergeschlagen. Als er erwacht, ist er selbst gefesselt und liegt auf Plastikfolie – und für Jonah beginnt ein Alptraum, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint…

Hammermäßiger Auftakt einer neuen Thriller-Reihe von Erfolgsautor Simon Beckett, der einem wie immer kalte Schauer über den Rücken jagt und sich nicht aus der Hand legen lässt. Beckett ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt, er benennt die grausamsten Details beim Namen. Die Bilder, die er hervorruft, lassen dem Leser kaum Raum für Fantasie. Das war zumindest so bei der Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter, und auch dieser Thriller ist nichts für schwache Nerven. Schon der Paukenschlag zu Beginn lässt einem die Haare zu Berge stehen. Da wird nicht lange gefackelt – nach einem kurzen Intro findet man sich unversehens mit Protagonist Jonah Colley in der verrotteten Lagerhalle in einer gottverlassenen Gegend am Londoner Hafen wieder – und wird sofort mitten in Jonahs Alptraum mit hineingezogen. Becketts Erzählstil und -freude hat auch in diesem ersten Band der neuen Reihe nichts von seiner Überzeugungskraft und Intensität verloren, er versteht einfach sein Handwerk, entwirft mühelos Helden und Antihelden, stiftet Verwirrung mit überraschenden Wendungen und hält die Spannung so konstant aufrecht, dass auch dieses Buch zu einem Pageturner wird.

Mit Jonah Colley ist dem Autor hier auch wieder ein starker, wenn auch polarisierender Charakter gelungen. Innerlich gebrochen nach dem Verschwinden seines Sohnes Theo und der Trennung von seiner Frau, lebt er in einer schäbigen Bude, einzige soziale Kontakte sind die zu seinen Kollegen. So wirklich interessiert ist er an nichts mehr – außer an der Frage, was mit seinem Sohn damals passiert ist. In Rückblenden werden parallel zur Gegenwartsgeschichte die Ereignisse um das Verschwinden seines Sohnes erzählt. Anfangs losgelöst voneinander, bildet sich nach und nach ein Gesamtbild, das zeigt, wie alles zusammenhängt. Die Erlebnisse am Kai ändern alles. Man könnte meinen, sie traumatisieren Jonah noch mehr, das tun sie einerseits auch, doch andererseits geht er gestärkt daraus hervor, er ändert sein Leben und entwickelt eine andere Sicht auf die Dinge. Dabei ist er keinesfalls der hundertprozentige Sympathieträger, auch er verschweigt einiges und handelt manchmal irrational. Er ist eher der Antiheld, durch sein Trauma glaubt man, er habe sich aufgegeben, dazu kommen noch seine schweren Verletzungen – er läuft an Krücken durch das Buch. Mehr als einmal kommen einem Zweifel am Ausgang der Situation, denn man traut ihm einfach nicht zu, dass er heil da wieder herauskommt. Jonahs Unzulänglichkeit gibt der Geschichte zusätzliche Brisanz, seine Verletzlichkeit und Hartnäckigkeit geben ihr Emotionalität. Der starke Fokus auf Jonah als Hauptfigur lässt kaum Raum für andere starke Figuren, vielleicht das Einzige, was ich ein wenig bemängele.

Fazit: sehr spannende, durchaus brutale und blutige Geschichte und starker Auftakt zur neuen Thriller-Reihe des Erfolgsautors Beckett, die der David-Hunter-Serie in nichts nachsteht. Der Autor hat nichts verlernt, gewohnt bildhaft und lässig hält er die Spannung hoch, sorgt mit überraschenden Wendungen und erneuten Paukenschlägen für erschrecktes Aufkeuchen. Mit Jonah Colley ist ihm ein vielschichtiger Charakter gelungen, von dem man ungemein gefesselt ist und der dafür sorgt, dass man auch die Folgebände sehnsüchtig erwartet.