Rezension

Keine Kuschelfeen

Plötzlich Fee 01 - Sommernacht - Julie Kagawa

Plötzlich Fee 01 - Sommernacht
von Julie Kagawa

Pro:
Bevor ich irgendetwas sonst über dieses Buch schreibe, muss ich es loswerden: lasst euch von Cover und Titel nicht in die Irre leiten. Das Cover ist an sich ja ziemlich hübsch und farbenfroh und ansprechend, deswegen führe ich es nicht unter "Kontra" auf, sondern hier - aber in Verbindung mit dem Titel lässt es mich an quietschbunte, harmlos-fröhliche Disney-Feen mit Glitzerflügelchen denken. Oder zumindest eine kitschige Romantasy. Und das geht meilenweit am Inhalt des Buches vorbei.

Ja, Julie Kagawa schreibt über Feen und Elfen und Nixen und andere märchenhafte Wesen, aber die Sagenwelt, aus der sie dabei aus dem Vollen schöpft, ist keineswegs harmlos und fröhlich. Wenn man mal an die alten Märchen und Sagen denkt, dann haben die es meistens ganz schön in sich: ob das jetzt die böse Königin bei den Gebrüdern Grimm ist, die sich in glühenden Eisenschuhen zu Tode tanzen muss, die irische Ban Sidhe, die mit ihrem grauenhaften Schrei den Tod ankündigt, oder das schottische Katzenwesen Grimalkin, das mit dem Teufel in Bunde stehen soll. Und so ist auch in diesem Buch die Welt der Feenwesen von eher grausamer Schönheit, oft bedrohlich und düster. Ein wenig hat mich Inhalt und Stil an Holly Black und ihr großartiges Buch "Die Zehnte" erinnert - was als großes Kompliment gedacht ist!

Ich habe in anderen Kritiken den Vorwurf gelesen, der Geschichte mangele es an Originalität, da die Autorin sich zu viel aus anderen Büchern borge. Das würde ich so nicht unterschreiben. Ja, hier kommen viele Wesen vor, die es auch in anderen Werken schon gibt, aber mal ehrlich - wieviele Autoren haben seit J.R. Tolkien über Elfen und Zwerge geschrieben? Es besteht ein Unterschied zwischen imitieren und inspirieren, und meiner Meinung nach lässt sich Julie Kagawa inspirieren, und das auf fabelhafte Art und Weise. Auch ihre ganz eigenen Erfindungen fand ich fantastisch, allen voran die Eisernen Feen, die unserem modernen Fortschrittsglauben entsprungen sind. Im Original heißt das Buch übrigens auch "The Iron King", "Der Eiserne König" - das klingt doch schon ganz anders als "Plötzlich Fee"!

Für mich wurde das Buch schnell spannend - Meghans kleiner Bruder wird ins Feenreich verschleppt und durch einen bösartigen Wechselbalg ersetzt, und ehe sie sich versieht, wird sie kopfüber in eine Welt geschmissen, über die sie fast nichts weiß und die sie nicht versteht. In Begleitung ihres besten Freundes - der sich als kein Geringerer als Puck herausstellt, über den schon Shakespeare in "Ein Sommernachtstraum" geschrieben hat - gerät sie von einer gefährlichen Situation in die nächste und muss dabei feststellen, dass schon ganz alltägliche Dinge, wie sich zu bedanken, etwas zu Essen anzunehmen oder etwas zu versprechen, fatale Konsequenzen haben können.

Meghan wird oft vorgeworfen, sie sei dumm. Ist sie manchmal unglaublich naiv? Definitiv. Trifft sie falsche Entscheidungen? Jaaaa, zugegeben. Aber mal ehrlich? Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich in dem Alter besser geschlagen hätte - man muss bedenken: es ist eine Sache, Geschehnisse in Büchern zu lesen und aus dem bequemen Lesesessel zu beurteilen, und eine völlig andere, sie zu erleben und unter Stress und in Lebensgefahr Entscheidungen treffen zu müssen, wie es hier von Meghan erwartet wird. Ich fand sie gerade interessant, weil sie alles andere als perfekt ist, und sie hat ja auch ihre guten Seiten. Obwohl sie große Angst hat, schlägt sie sich tapfer und riskiert ihr eigenes Leben, um die zu retten, die sie liebt.

Auch Puck und Ash haben mir gut gefallen, dabei hasse ich normalerweise Alles, was auch nur entfernt an eine Dreiecksgeschichte erinnert, mit flammendem Zorn! Aber in diesem ersten Band hält sich die Romantik noch in gut erträglichen Grenzen.

Den Schreibstil fand ich wunderbar, sehr packend und einfallsreich und voller bestechender Bilder.

Kontra:
Obwohl ich Puck und Ash gerne mag - einen kleinen Abzug für das vermaledeite Klischee Dreiecksgeschichte gibt es dennoch!

Zusammenfassung:
Wer Holly Black mag, oder überhaupt gerne Urban Fantasy liest, die auf Märchen und Sagen beruht und dabei überhaupt nicht idyllisch und niedlich ist, sollte der Reihe vielleicht eine Chance geben. Der erste Band hat mich vollends überzeugt, wobei ich allerdings direkt auf meine Kritik des zweiten Bands vorgreifen muss - der hat mich nicht mehr so 100%ig überzeugt, war aber immer noch unterhaltsam.