Rezension

Seichte Dystopie

Unsre verschwundenen Herzen
von Celeste Ng

Bewertet mit 3 Sternen

Mein erster Roman von Celeste Ng, einer Autorin, deren Name mir schon häufig über den Weg gelaufen ist und die ich nun endlich einmal über eins ihrer Werke kennenlernen wollte.

Das Setting des Buchs war für mich überraschend dystopisch. Die USA der nahen Zukunft hat gerade eine gewaltige Krise hinter sich, Schreckensszenarien des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der Gewalt haben die gesellschaftliche Stabilität in die Knie gezwungen. Was daraus erwächst sind neue Regeln zur "Aufrechterhaltung der Ordnung", neue Feindbilder, die sich gegen Menschen asiatischer Herkunft richten und die schließlich im PACT-Gesetz ihren Ausdruck finden, dem Gesetz zur Erhaltung Amerikanischer Kultur und Traditionen. Vor diesem Hintergrund lernen wir Bird kennen, einen 12-jährigen Jungen, dessen chinesisch-stämmige Mutter vor einigen Jahren von heute auf morgen verschwunden ist und dessen Vater seitdem kein Wort mehr darüber verliert. Doch dann trifft ein Brief ein, und Bird versucht, sich auf eigene Faust das Verschwinden seiner Mutter zu erklären.

Vor allem zu Beginn baut der Roman einiges an Spannung auf. Genau wie Bird habe auch ich mich erst an die gesellschaftlichen Umstände herantasten müssen. Celeste Ng malt ein Bild von Unterdrückung, Überwachung, Denunzierung, Widerstand, weckt viele Fragen, die mich flott durchs Buch getragen, letztlich jedoch ein wenig unbefriedigt zurückgelassen haben. Viele Passagen zur Erklärung der gesellschaftlichen Zusammenhänge wurden für mich zu sehr "runtererzählt", die Frage nach der Entstehung der Krise lässt die Autorin offen. Gerade eine Dystopie lässt sich zwar auch völlig abstrakt erzählen, hier sind jedoch die Verknüpfungen zur Realität und zur Gegenwart so eng, dass sich für mich unwillkürlich die Frage nach den Verbindungen von hier nach dort aufdrängte. Stattdessen steht die heldenhafte Suche des kleinen Bird nach seiner Mutter im Vordergrund, ein Plot, der zwar erzählerisch einfallsreich, aber auch zunehmend konstruiert und überzogen auf mich wirkte. Worüber ich gerne gelesen habe, war die Rolle von Büchern, Erzählungen, Kunst, Sprache in einer unterdrückten Gesellschaft - ein Thema, welches unter Bücherfreunden sicherlich viele ansprechen wird. Insgesamt eine spannend aufgebaute Welt, allerdings ein wenig zu nachgiebig, um mir nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben.