Rezension

Irgendwo gibt es immer Hoffnung

Unsre verschwundenen Herzen
von Celeste Ng

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dieser Roman ist nett. Das ist sein Problem.

Die große Harmonie, die man beim Lesen dieses Romans verspürt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Autorin einem ernsten Thema widmet, dem Kindesentzug durch staatliche Stellen. Doch über all dem liegt eben auch das märchenhafte Geschehen, wie Bird seine verschwundene Mutter wiederfindet, indem er den Brotkrumen, die sie ihm zukommen lässt, folgt. Ein bisschen ist es ein Hänsel- und Gretelbuch. Die Hexe ist freilich der böse Staat. 

Mit PACT hat die amerikanische Regierung auch wirklich ein probates Mittel gefunden, die renitente Bevölkerung einzuschüchtern. PACT heißt Preserving American Culture and Traditions, zu deutsch "Gesetz zur Einhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen" und hört sich auf den ersten und zweiten Blick gar nicht verkehrt an. Es ist ja nichts dagegen zu sagen, Gebräuche und Sitten zu wahren. Aber, was ist „amerikanisch“ und was nicht? Schwierig wird es auch, wenn Menschen mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, aber mulitkulturellem Hintergrund grundsätzlich mit Vorbehalten rechnen müssen; in den „Verschwundenen Herzen“ werden ausnahmsweise einmal asiatische Menschen diskriminiert. Böse bleiben aber die weißen Mehrheiten. War ja klar.

Der Kommentar:
Man folgt Birdie gerne, solange er herauszufinden versucht, warum Paps nie über Mam spricht und warum er sich unauffällig verhalten soll und über diverse Ungerechtigkeiten hinweggehen muss. Mit ihm rätselt man, was wohl geschehen ist, warum PACT so biestig sein kann und warum man nicht darüber sprechen darf. Allmählich kristallisiert es sich heraus, dass Mam in den Untergrund gegangen ist. Und ab jetzt hätte es spannend werden können. 

Doch Celeste Ng verlässt ihren betulichen aussschweifenden Erzählstil nicht ein einziges Mal, nie wird einem Angst und Bange. Gut für den Blutdruck. Gleichzeitig fragt sich der Leser, wie Gedichte und Geschichten allein etwas ändern sollten, zumal sich die Widerstandskämpfer ziemlich ungeschickt anstellen und sich kaum organisieren. Sie sind Idealisten allesamt. Viele, wie Mam selber, sind unfreiwillig im Untergrund gelandet. Öffentliche Bibiliotheken als Hort des Widerstands, wie Ng auswählt, haben etwas Traumwandlerisches, Verträumtes, allzu Märchenhaftes. Gelobt seien die Bibliophilen! Beweihräuchern wir uns ein wenig selbst! Andererseits könnten ja auch kleine Schritte irgendwann einmal zu einem großen Schritt führen. Allerdings bleibt diese Hoffnung vage. 

Fazit: „Unsere verschwundenen Herzen“ ist ein herziges Buch. Es ist angenehm zu lesen; es tröstet sogar ein wenig, indem es verspricht, dass kleine Nadelstiche auch etwas sind. Ob dies der Realität entspricht, können nur die entscheiden, die einmal in einem diktatorischen Regime leben mussten. Seine Grundaussage, „irgendwo ist immer Hoffnung“ ist allerdings zu banal. 

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag dtv, 2022

Kommentare

lex kommentierte am 15. Oktober 2022 um 14:16

... nie wird einem Angst und Bange. Gut für den Blutdruck.

:-)