Rezension

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Eine spannende Familiengeschichte über vier Generationen von Frauen

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

Alena Schröder ist eine spannende Familiengeschichte gelungen, die sich über 100 Jahre deutscher Geschichte erstreckt.

Senta verliebt sich in den 1920ern in einen Kriegshelden, wird schwanger, heiratet ihn, findet aber in der Ehe keine Erfüllung und zieht nach Berlin.
Evelyn wird von ihrer Tante aufgezogen, die zur glühenden Hitlerverehrerin wird. In der Nachkriegszeit wird Evelyn Ärztin, heiratet und bekommt ein Kind, findet aber in der Mutterschaft nur bedingt Erfüllung.
Silvia ist eher ein "Papakind", wächst wohlbehütet und ohne finanzielle Sorgen auf, engagiert sich in den 1970ern politisch, sucht ihr Heil in esoterischen, hippiesken Schamanenzeremonien und zieht allein ihre Tochter auf.
Die Promotionsstudentin Hannah öffnet in der heutigen Zeit einen Brief an ihre Großmutter Evelyn, der einige Steine ins Rollen bringt.
Sie muss versuchen, von ihrer Großmutter mehr über deren Mutter zu erfahren, denn durch deren Ehe mit einem jüdischen Kunsthändlersohn ist Hannah möglicherweise die Erbin verschollener Raubkunst. Jede der vier Frauen geht auf ihre Art mit den Herausforderungen ihrer Zeit um, wodurch auch vieles zwischen den Generationen unausgesprochen bleibt.

Alena Schröder webt mit diesem Roman eine vier Generationen umfassende Geschichte, in der es um historische Verantwortung, um Wiedergutmachung und den Einfluss der Geschichte auf die Gegenwart geht. Dabei widmet sie sich mit der Entwendung jüdischen Eigentums einem wichtigen Kapitel der deutschen Geschichte und der Shoah. Es gelingt ihr, daraus keine kitischige eindimensionale oder verklärte Geschichte zu schreiben. Stattdessen entwirft sie mit Hannah eine Figur, die die totgeschwiegenen Teile ihrer Familiengeschichte zu ergründen versucht und dabei auch mehr über ihre Großmutter und deren Leben zwischen zwei Welten, der der leiblichen, intellektuellen Mutter und der der hitlertreuen Tante, lernt. Über die Beschäftigung mit ihrer Familiengeschichte, die Hannah anfangs eher weniger interessiert, lernt sie auch sich selbst besser kennen und kann für sich ausloten, was sie beruflich und persönlich wirklich möchte.

Durch die bildhafte Sprache und die facettenreichen Charaktere entsteht eine Geschichte, die man schnell und gerne liest. Das Thema NS-Raubkunst wird nicht nur oberflächlich verhandelt. Die Autorin bringt fundierte historische Fakten ein, die die Geschichte nicht nur besser greifbar machen, sondern den Leser*innen verdeutlichen, wie viel in deutschen Familien bis heute geschwiegen wird und wie viele jüdische Familien bis heute keine wiedergutmachung erhalten haben - wenn so etwas angesichts der Schrecken der Shoah überhaupt möglich ist. Dabei nehmen ihre Charaktere kein Blatt vor den Mund und räumen mit dem Mythos auf, wonach im Dritten Reich niemand von etwas gewusst haben will. So kann das Buch auch als ein Appell verstanden werden, wo möglich noch die eigene Familiengeschichte zu ergründen, um der historischen Verantwortung gerecht zu werden.

Ich habe das Buch innerhalb weniger Tage gelesen und kann es Fans historischer Romane nur ans Herz legen - insbesondere auch, weil zur Abwechslung keine Romanze im Vordergrund steht.