Rezension

Alena Schröder - Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

Hannah hat nur noch ihre Oma Evelyn, die mit 95 Jahren ihre letzten Tage im Seniorenheim erlebt. Als sie dort eines Tages einen Brief findet, ist sie mehr als erstaunt: eine Kanzlei will sich um die Restitution des in der Nazi-Zeit gestohlenen Kunstschatzes der Familie kümmern. Hannah wusste gar nicht, dass sie jüdische Vorfahren hatte. Hatte sie auch nicht, Evelyns Mutter hatte ihre Tochter einst bei der Schwägerin zurückgelassen, um in Berlin ein neues Leben zu beginnen und dort in die jüdische Kunsthändler-Familie Goldmann eingeheiratet. Zwischen Mutter und Tochter war der Riss nie mehr zu kitten und Evelyn wollte für immer alle Bände zerschnitten wissen, weshalb Hannah sich nun alleine auf die Suche nach der unbekannten Familiengeschichte macht.

 

Alena Schröder hat lange Zeit als Journalistin gearbeitet und nebenbei bereits eine Reihe von Sachbüchern und die Reihe der „Benni-Mama“ veröffentlicht. In ihrem Roman mit dem sperrigen Titel „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ greift sie ein bekanntes Sujet auf, das auch recht klassisch erzählt wird: die unbekannte Familiengeschichte aus der Nazi-Zeit, die im Wechsel mit der Gegenwartshandlung und der Enkelgeneration geschildert wird, wo man sich dem Mysterium der eigenen Vergangenheit annähert. Die Autorin setzt dies sehr ansprechend und routiniert um, ein Roman, den man gerne liest und der auch durchaus spannende Momente zu bieten hat.

 

Die Frauen der Familie sind ohne Frage alle auf ihre Weise eigenwillig. Zunächst Senta, die von dem schillernden Leben in Berlin träumt, dafür Sicherheit und Tochter aufgibt, aber in den schwersten Stunden pragmatisch und beherzt handelt. Leider ist es ihr nie gelungen, sich der Tochter zu vermitteln, nicht nur, weil Evelyn quasi keine Erinnerung an sie hat, viel mehr noch weil das schwere Zepter der bösartigen Tante sie zu sehr geprägt hat als dass sie als erwachsene Frau großzügig vergeben könnte. Die Erfahrungen als Kind haben sie hart gegen sich und andere werden lassen. Dass dies keine guten Voraussetzungen sind, um selbst eine zugewandte, liebende Mutter zu werden, war absehbar und so bleibt auch die Beziehung zwischen ihr und Silvia immer etwas unterkühlt, wenn sie auch zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird. Hannah hat ihre Mutter früh verloren, zu der Großmutter jedoch eine enge Verbindung, wenn diese auch an ihrem Lebensabend störrisch und unkooperativ bleibt. Der jungen Frau fehlt jedoch noch das Ziel im Leben, die Promotion plätschert vor sich hin, die Affäre mit ihrem Doktorvater ist auch eher einseitig und wenig zukunftsträchtig.

 

Der Handlungsstrang um die jüdische Familie Goldmann erzählt die Geschichte, wie es sie hundertfach gab. Zunehmende Restriktionen unter den Nazis, Publikationsverbot für Senta und ihren Mann in ihrem Verlag und letztlich die Enteignung und Deportation. Ein leider recht typisches Schicksal, das die nachfolgenden Generationen, sofern es sie denn gibt, mühsam aufarbeiten müssen.

 

Ein Roman über die unergründlichen Wege, die das Leben manchmal nimmt und die Gabelungen, die zu Entscheidungen mit ungewissem Ausgang zwingen.