Rezension

Mütter und Töchter

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

In Alena Schröders Debütroman „Junge Frau, am Fenster stehend. Abendlicht, blaues Kleid“ geht es um vier Generationen von Frauen einer Familie. Die Geschichte umspannt ein Jahrhundert, beginnend mit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Urgroßmutter Senta wird schwanger und heiratet den Kriegsheld Ulrich. Die Ehe ist jedoch nicht glücklich. Senta lässt ihre Tochter Evelyn bei ihrem Mann zurück, der die Dreijährige von seiner Schwester Trude aufziehen lässt. Senta folgt ihrer Freundin Lotte nach Berlin und heiratet später Julius, den Sohn eines jüdischen Kunsthändlers. Aus dieser Ehe stammt die Tochter Silvia, die früh an Krebs stirbt. Deren Tochter Hannah, eine 27jährige Doktorandin in der Erzählgegenwart, kümmert sich um ihre 94jährige Großmutter Evelyn, die in einem Altersheim im Berliner Westen auf den Tod wartet. Durch einen Brief an die Großmutter erfährt Hannah, dass Evelyn und sie Erben eines von den Nazis gestohlenen Vermögens sind, wenn die geraubten Kunstwerke denn gefunden und restituiert werden. Hannah fragt ihren Doktorvater um Rat, der den Kontakt zu einem jungen Wissenschaftler mit umfangreichen Kenntnissen über die Nazizeit vermittelt. Hannah wusste nichts über Verbindungen zu der angeheirateten jüdischen Verwandtschaft. Ihre Großmutter hat ihr Leben lang über die Familiengeschichte geschwiegen und verweigert auch jetzt zunächst jede Auskunft. Hannah beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen, steckt doch ihr Leben in einer Sackgasse fest. Sie kommt mit ihrer Doktorarbeit nicht weiter und hat eine aussichtslose Affaire mit ihrem verheirateten Doktorvater.  Sie braucht dringend neue Ziele, überhaupt eine Orientierung in ihrem Leben.

Die Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern wechselt zwischen den Zeitebenen und den Personengruppen.  Dabei geht es nicht nur um Judenverfolgung und Raubkunst, sondern auch um das schwierige Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern, Schuld und Verantwortung, all das Ungesagte, das zwischen den Mitgliedern einer Familie steht. Es ist ein anspruchsvoller, faszinierender Roman, in dem die Autorin die eigene Geschichte aufarbeitet und keine scheinbar naheliegende, simple Auflösung wählt. Ein sehr empfehlenswertes Buch.