Rezension

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Bleibt hinter meiner Erwartung zurück

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 3 Sternen

"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid", das klang für mich nach einem malerischen Titel, nach schönen Worten, bezaubernden Bildern, einer einzigartigen Sprache. Und die Buchbeschreibung geheimnisvoll. Eine jüdische Vergangenheit, verschollene Bilder, ein alles verändernder Brief - das klingt fast nach einer detektivischen Aufarbeitung!

Die Realität: In den Passagen der Gegenwarte eine oft sehr platte Sprache, manchmal vulgär ("Bist ja doch gar nicht so ein Arschloch, wie ich dachte.") und eine Protagonistin, die mit ihrem Professor schläft und die eigentlich alle wichtigen Dinge für sich machen lässt, statt selbst so richtig etwas zu unternehmen.

Es ist also anders, als erwartet, aber deshalb schlecht? Nein, nicht unbedingt. Es liest sich gut, ist grundsätzlich erst einmal interessant. Die Kapitel zeigen abwechselnd die Gegenwart von Hannah, 27, halbherzige Germanistin, und ihrer Großmutter Evelyn, 94, griesgrämige Pflegeheimbewohnerin mit Geheimnissen. Wir begleiten Hannah beim Gefühlschaos zur Affäre mit ihrem Professor, bei der Konfrontation mit ihrer Familiengeschichte. Sie selbst wird dabei wenig aktiv, bekommt aber Nebenpersonen an die Seite gestellt, die das für sie übernehmen.

Wesentlich tiefgehender sind die Rückblicke, zu ihrer Urgroßmutter Senta und der Familiengeschichte jener Zeit. Die Zeitstränge gefallen mir sehr gut, geben interessante Einblicke. Hier gelingt es der Autorin über weite Strecken, sprachlich und inhaltlich bei mir zu Punkten. Die Rückblicke sind intensiv, klammern oft aber die eigentlichen Geschehnisse aus, sodass mir als Leser viel eigene Phantasie bleibt und meine Gedanken trotzdem in die richtige Richtung gelenkt werden. In der Rückblickspassagen gibt es viel, was mich bewegt. Meine Lieblingskapitel sind das mit dem Tagebuch Julius Goldmanns und das letzte des alten Ehepaares Goldmann.

Mir erscheinen sind nicht alle Passagen und Szenen und auch nicht alle Handlungen logisch, nachvollziehbar und/oder realistisch. Es gibt immer wieder Gespräche, Äußerungen und Handlungsstränge, die auf mich unpassend oder fehl am Platz wirken. Manche Ideen dahinter kann ich nachvollziehen, aber die Umsetzung wirkt für mich unschlüssig. Ich fand das Buch an vielen Stellen nicht so tiefgehend, wie ich es erwartet oder gehofft hatte. Insgesamt hinterlässt das Buch bei mir keinen bleibenden Eindruck und auch nicht so eine drückende Schwere, wie ich es oft bei Literatur über den Nationalsozialismus empfinde.