Rezension

Spannende Familiengeschichte über mehrere Generationen, voller Schuld und Missverständnis

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4.5 Sternen

Verschüttete Wahrheit, Unrecht und Verdrängung

Die 95-jährige Evelyn sitzt in ihrer Seniorenresidenz und hat mit dem Leben abgeschlossen. Sie bekommt nur noch Besuch von ihrer Enkelin Hannah, eine junge Studentin, die ihrer Oma scheinbar nie etwas recht machen kann. Auch sonst haben sich die zwei Frauen wenig zu Sagen!
Doch als ein Brief aus Israel zwecks einer "Restitutionssache geraubter Kunstschätze" bei Hannahs Oma eintrifft, beginnt Hannah in der Vergangenheit zu wühlen und stößt auf eine außergewöhnliche und äußerst verworrene Familiengeschichte, ganz zum Missfallen ihrer Großmutter. Doch Hannah lässt nicht locker!

Der Roman mit dem erstaunlichen Titel "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid", von Autorin Alena Schröder, erzählt eine unglaubliche Familientragödie, die sich besonders auf das Schicksal und die Rollen der Frauen fokussiert. Eine traurige Geschichte voller unerfüllter Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen aller Beteiligten. Großmutter Evelyn hadert zeit ihres Lebens damit, sich von der Mutter verraten zu fühlen da sie bei einer Tante aufwachsen musste. Doch auch Evelyn kann nicht die Mutter sein, die sich ihre Tochter Silvia wünschte. Es gibt so viele Missverständnisse, deren Wahrheiten Hannah Stück für Stück auf die Schliche kommt, um dabei den Zusammenhang mit dem Geheimnis um eine verschollene jüdische Bildersammlung zu entdecken! Dabei stößt sie auch auf die außergewöhnliche Frauengestalt und emanzipierte Journalistin "Senta", ihre Urgroßmutter. Nebenbei plagt Hannah aber noch ihr eigenes Leben, samt Beziehungsschlamassel im Hier und Heute!

Die Autorin hat ein Händchen für ihre Charaktere, sie beschreibt alle, selbst die Nebenrollen so intensiv, dass alle Eigenheiten verständlich und begreifbar werden, im Guten wie im Schlechten! Der Schreibstil ist mitreissend und unterhaltsam, die unterschiedlichen Zeitsprünge und Personen immer in Bewegung.
Häppchenweise wird mehr vom Geheimnis gelüftet und das Aufdröseln der Familiengeschichte zu einer äußerst spannenden Angelegenheit! Hätte wirklich nicht erwartet, dass mich dieses Thema so fesseln könnte.
Das Ende ist überraschend, versöhnlich und vielleicht ein klein wenig unspektakulär, anders als man es bei einem Roman erwarten würde, eigentlich ernüchternt realistisch, wie so oft im wahren Leben.

Mein Fazit: Ein wirklich toller Roman, über Familienkonstellationen, Beziehungsgeflechte, die Nazi-Zeit und dazu eine interessante Recherche-Geschichte zu Raub-Kunst. Eigentlich hatte ich ursprünglich eine ganz andere Erwartungen an das Buch, wurde aber dennoch angenehm überrascht! Habe mich absolut gut unterhalten, daher eindeutige Leseempfehlung!