Rezension

Voller Kunst und Emotionen

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 5 Sternen

Mit „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ist der Autorin Alena Schröder ein ergreifender Roman gelungen, der das Familienschicksal vierer starker Frauen von den 1920ern bis in die Gegenwart erzählt. Stets hadern sie mit den Themen Familie und Mutterschaft und versuchen auf ihre Art den richtigen Weg im Leben zu finden. Ein bewegendes Porträt einer verzwickten Familiengeschichte.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Hannah. Die 27-jährige Doktorandin der Germanistik ist unschlüssig, wohin ihr Leben sie führen soll und lebt ohne wirkliche Perspektive in den Tag hinein. Dabei tut sie sich aufgrund des frühen Verlusts ihrer Mutter schwer, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und lässt sich lieber auf zweifelhafte Affären ein, als feste Bindungen zu knüpfen. Einzig zu ihrer Großmutter Evelyn, die mit weit über 90 Jahren am Ende ihres Lebens steht, pflegt sie regelmäßigen Kontakt und hält so die Familienbande trotz aller Widrigkeiten der Vergangenheit lebendig. Eines Tages entdeckt Hannah beim Besuch ihrer Großmutter einen Brief, in dem diese als Erbin eines in der Nazizeit verschollenen Gemäldes angegeben wird. Hannah wird neugierig, was dahintersteckt, da sie nicht viel über ihre Familiengeschichte weiß und so versucht sie, Licht ins Dunkel zu bringen und die Geheimnisse zu lüften. Dabei hofft sie, sich über den Sinn ihres eigenen Lebens ebenfalls klarer zu werden.

Diese packende Geschichte erzählt Alena Schröder in einem lesenswerten, kunstvollen Stil. Flüssig und locker, aber zugleich mit sprachlichem Niveau, führt sie uns Leser auf verschiedenen Zeitebenen durch die Generationen von Hannah Familie. Die Kapitel wechseln stets zwischen den Schauplätzen der Gegenwart und der Vergangenheit, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Besonders gut gefallen haben mir in dieser Hinsicht die Kontraste zwischen dem modernen und dem historischen Berlin. Aufgrund der detailreichen und bildlichen Beschreibungen hatte ich alles bildlich vor Augen und habe mich in der Zeit zurückversetzt gefühlt. Trotz des ständigen Wechsels der Zeitebenen wird es nie verwirrend oder unübersichtlich, ganz im Gegenteil! Beide Teile ergänzen sich perfekt und man ist gespannt, wie letztendlich die Fäden zusammenlaufen und die Zeitebenen schließlich ineinandergreifen.

Für den Leser steht dabei weniger die Suche nach dem verschwundenen Gemälde im Vordergrund, sondern vielmehr die Familiengeschichte selbst. Bestimmte Motive wie das Hadern mit der Mutterschaft ziehen sich über die Generationen hinweg und sorgen für emotionale Komplikationen. Besonders bewegend geschildert sind die Kapitel, die während er Nazizeit spielen. Ab und zu musste ich wirklich schlucken. Dennoch gibt es immer wieder auch heitere und leichtere Momente im Leben der verschiedenen Frauen (besonders wenn es um Hannah geht) und so wird die Lektüre nie zu traurig, sondern bleibt immer noch unterhaltsam.

Die Kapitel wechseln nicht nur zwischen den Zeitebenen. Auch die Erzählperspektive variiert und man kann so gut wie jeder der Charaktere für ein paar Seiten lang in den Kopf gucken. So lernt man alle Figuren etwas näher kennen und versteht ihre Beweggründe besser. Dadurch sind mir zunächst äußerst unliebsame Personen etwas sympathischer geworden, wenngleich es sicher im Roman dennoch eine Hand voll Charaktere gibt, die „Ekelpakete“ bleiben, egal wie sehr man versucht, ihre Gedankenwelt nachzuvollziehen. Diese wechselnde Erzählperspektive macht den Roman besonders lesenswert und kunstvoll für mich, da er deutlich an Tiefe und Emotion gewinnt. Man hat Teil an der Charakterentwicklung und keine der Figuren bleibt ein flacher Pappmann ohne Hintergrund. Heimlich Heldin des ganzen Figurenrepertoires ist für mich Hannahs Großmutter Evelyn, die als betagte Dame das Altersheim und alle anderen Leute um sie herum auf eigenwillige und sture Art auf Zack hält!

Ein Familienroman voller Kunst und Emotionen – sehr lesenswert!