Rezension

Vier Frauen und ein Gemälde

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch besticht durch die wunderschöne Gestaltung seines Covers und den ungewöhnlichen Titel. Liest man dann die Klappentexte, so erfährt man, dass es sich dabei um die Bildbeschreibung eines Gemäldes handelt. Wenn man dann in die ersten Seiten eintaucht, staunt man, wie locker und unbeschwert die Verfasserin einen Roman schreibt, in dem es um das Unrecht der Nazizeit, eine lange verheimlichte jüdische Vergangenheit und Raubkunst geht. Das hat mich zunächst überrascht, aber ich finde, man kann das durchaus so machen. Die Thematik ist interessant und wichtig und verdient deswegen sicherlich eine genauere Betrachtung und ruhig auch eine romanhafte Behandlung.

Die Redundanz und der eingängige Schreibstil sind dabei zugleich Stärke und Schwäche dieses Romans. Aus Sicht von drei Frauenfiguren wird die Familiengeschichte der jungen Hannah erzählt, die jede Woche ihre Grossmutter Evelyn im Altersheim besucht. Hannah hat als junge Frau ihre Mutter an Krebs verloren und seitdem nicht wieder richtig Fuss fassen und ihr Leben organisieren können. Etwas planlos lebt sie in den Tag hinein und verliert sich in Schwärmereien für ihren Doktorvater. Ihre Grossmutter, eine ehemalige Ärztin, hat wenig Verständnis für diesen Lebensstil und macht daraus auch keinen Hehl. Durch Zufall findet die Enkelin bei einem ihrer Besuche heraus, dass sie offenbar Nachfahrin und Erbin eines jüdischen Kunsthändlers ist, dessen Besitz während des Dritten Reichs entwendet wurde. Hannah begibt sich auf die Suche nach der verschollenen Kunst und auch nach ihren Wurzeln. Diese werden nun für die Leser nach und nach dadurch freigelegt, dass in Rückblenden über Kindheit und Erwachsenenzeit von Hannahs Vorfahrinnen berichtet wird. Parallel dazu wird ausführlich die Beziehung von Hannah und ihrem Professor erzählt, der ausserdem noch den ehrgeizigen Assistenten Jörg, dessen Spezialgebiet das Judentum und das Dritte Reich ist, auf die junge Frau ansetzt.

Das alles ist flott erzählt, schnell liest sich Seite um Seite, Kapitel für Kapitel weg. Doch irgendwann denkt man sich: Ist dieses und jenes eigentlich wirklich wichtig für den Fortgang der Geschichte? Welche Bedeutung haben die persönlichen Befindlichkeiten des Professors oder von Jörg für das eigentliche Thema, nämlich die Aufarbeitung der Familiengeschichte durch Hannah? Das sind Nebenschauplätze, in die sich die Verfasserin ein wenig verzettelt. Im Gegenzug erfahren wir dann aber leider kaum etwas über Hannahs Mutter, obwohl der Roman doch alle vier Frauenfiguren behandeln will.

Schröder weiss Situationen und Menschen gekonnt, humorvoll und treffsicher zu charakterisieren. Ihre Personenbeschreibungen sind anschaulich und detailreich und grösstenteils liebevoll. Aber es treten so viele verschiedene Charaktere auf, dass dies in der Gesamtheit zu sehr vom eigentlichen Thema (und Titel des Buches) ablenkt: Raubkunst im Dritten Reich. In Rückblenden wird dies wohl immer wieder erwähnt, aber insgesamt kommt dem zu wenig Bedeutung zu. Der Geschichtsbezug und seine Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung aller vier Frauen wird nach meinem Gefühl zu wenig genau beleuchtet und reflektiert. Vieles muss man sich zwischen den Zeilen denken oder mutmassen. So verwundert es dann nicht wirklich, dass das Gemälde am Ende auch nicht gefunden wird und gar nicht mehr so wichtig zu sein scheint. Manches wird nach meinem Gefühl einfach übergangen oder auch humorvoll überspielt, weil es nicht so einfach ist, Trauer, Schmerz und Verzweiflung schriftstellerisch zu beschreiben und angemessen zu vermitteln.

Und dann soll es in dem Buch ja auch noch um den Konflikt zwischen Mutterschaft auf der einen und Berufstätigkeit von Frauen gehen, und wie dies unser eigenes Frauen- und Mutterverständnis prägt. Das alles sind wichtige Themen, aber durch die Vielzahl kann keines wirklich erschöpfend behandelt werden. Insgesamt scheint mir, dass sich die Verfasserin hier einfach ein wenig zu viel vorgenommen hat.

Ich mag und empfehle dieses Buch dennoch, weil es mich einerseits sehr gut unterhalten hat und mich andererseits dazu anregt, über vieles noch genauer nachzudenken und selber zu recherchieren.