Rezension

Alles kommt vom Bergwerk her

Die Sehnsucht nach Licht -

Die Sehnsucht nach Licht
von Kati Naumann

Bewertet mit 5 Sternen

Bedrückende Enge, Hitze, Finsternis und Staub – unter Klaustrophobie darf man als Bergmann nicht leiden. Und doch haben sich die Mitglieder der Familie Steiner aus dem erzgebirgischen Bad Schlema über Generationen hinweg all diesen Widrigkeiten ausgesetzt, um dem Berg seine Schätze abzutrotzen.

Heute sind die Schächte stillgelegt und anstelle der Bergleute fahren Touristen und Interessierte ein, um sich im Besucherbergwerk ein Bild vom Leben unter Tage zu machen. Luisa, mit 30 Jahren das jüngste Mitglied der Bergarbeiterfamilie Steiner, vermittelt den Gästen im Schacht 15IIb mit Enthusiasmus, wie es einst unter der Erde zugegangen ist. Dabei kann sie auf Informationen und Erinnerungen aus erster Hand zurückgreifen, denn ihr Vater, ihr Großvater, ihr Urgroßvater und sogar ihr Ururgroßvater waren Bergleute. Auch ihr Großonkel Rudolf gehörte dieser Zunft an – bis er eines Tages nicht mehr von der Schicht nach Hause kam. Luisa beschließt, sich auf die Spuren ihres Großonkels zu begeben und lüftet dabei ungewollt so manches Familiengeheimnis …

Dem Erscheinen von „Die Sehnsucht nach Licht“ habe ich voller Ungeduld entgegengefiebert. Ich wohne nur 15 Kilometer entfernt von Bad Schlema, dem Hauptschauplatz des Romans und gleichzeitig dem Wohnort der fiktiven Familie Steiner, und finde Regionalgeschichte absolut fesselnd. Am 25. Oktober 2022 wurde „Die Sehnsucht nach Licht“ bei HarperCollins veröffentlicht – und ich habe das Buch im Rekordtempo gelesen!

In sich abwechselnden Kapiteln erzählt Autorin Kati Naumann von der Vergangenheit der Familie Steiner, beginnend im Jahre 1908, und der heutigen Zeit, die im Herbst 2019 angesiedelt ist. Ich bin ehrlich beeindruckt, wie viel Geschichte und Geschichten die Autorin auf 416 Seiten platziert hat, ohne dabei jemals oberflächlich zu sein.

Jede Zeit, jede Epoche im Roman hat ihre ganz eigene, charakteristische Atmosphäre, die Kati Naumann für ihre Leser lebendig und greifbar macht. Spielend leicht versetzt die Autorin einen in die Kaiserzeit, in entbehrungsreiche Kriegsjahre, in die 40 Jahre währende DDR bis in die Gegenwart. Auch die Traditionen kommen nicht zu kurz: Von den Rauhnächten über die Mettenkerze bis hin zum Schwibbogen lässt die Autorin erzgebirgisches Brauchtum in ihre Geschichte einfließen.

Den einzelnen Sohlen in einem Bergwerk ähnlich, beleuchtet Kati Naumann Generation für Generation der Steiners, gibt ihnen eine Stimme, lässt sie aus ihrem Leben erzählen, das sich im Laufe der Zeit genauso wandelt wie der einst so mondäne Kurort. Der Stammbaum der Familie ganz am Anfang des Buchs erweist sich als äußerst hilfreich, sonst würde man bei fünf Generationen früher oder später den Überblick verlieren.

„Die Sehnsucht nach Licht“ ist nicht nur eine Familiensaga, bei der die „kleinen“ Leute im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Biografie eines Ortes, der im Laufe der Jahrzehnte immer wieder sein Gesicht verändert hat.

Selbst als „Hiesige“ habe ich beim Lesen von „Die Sehnsucht nach Licht“ eine Menge Neues erfahren. Spannend erzählt, kombiniert Kati Naumann gründlich recherchierte (Bergbau-)Geschichte mit mitreißendem Familienroman. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Es war ein Genuss, dieses Buch zu lesen!

Und spätestens, wenn man dann nach 416 Seiten das Buch zuklappt, weiß man, warum sowohl für die Familie Steiner als auch für das Erzgebirge gilt: „Alles kommt vom Bergwerk her.“