It’s Showtime, aber sowas von! Achtung Suchtgefahr!
Bewertet mit 4 Sternen
Der Zeitpunkt hätte nicht besser ausgewählt werden können. Heiligabend, ein Millionenpublikum sitzt vor dem Fernseher und ist geflasht, dass auf allen Kanälen die gleiche Sendung läuft. „Herzlich willkommen zur Reality Show“ begrüßt Moderator Zachary Wiseman sein Publikum. „Wundern sie sich nicht. Wir bieten ihnen heute ein spektakuläres Programm, bei dem sie mitbestimmen dürfen, Einfluss auf den Verlauf haben werden und das Beste ist, sie können etwas gewinnen! Wir stellen ihnen 10 von 42 überaus privilegierten Menschen vor, die wir für sie ausgesucht haben. Jeder von den zehn Auserwählten gehört zu Deutschlands einflussreichsten Leuten, die mit ihren finanziellen Mitteln Macht auf die Politik ausüben. Wir zeigen ihnen, wie diese Menschen ihr Imperium aufbauen konnten und sie entscheiden, ob sie dafür bestraft werden sollen oder ungeschoren davonkommen. Geben sie ihr Urteil telefonisch, über unsere App Reality Show oder über unsere Accounts bei allen Sozialen Medien, ab. Sie haben die Wahl, mitspielen lohnt sich“.
Wow, was für ein polarisierender, sehr spannender und gut durchdachter Roman! Jeder wird hier auf die ein oder andere Weise vorgeführt und bekommt den Spiegel vors Gesicht gehalten, die Auserwählten, die Zuschauer und man selber auch als Leser. Anne Freytag spricht durch den Coup der fünf Freunde hier wichtige Themen wie Politik, Umweltsünden, Ungerechtigkeit in der Welt, Datensicherheit und Datenklau, die Macht der Medien und IT-Spezialisten, Manipulation von Menschen, Sensationslust, Selbstjustiz und die Fragwürdigkeit von solchen Shows, an. Der Schreibstil der Autorin ist wie immer fesselnd, eindringlich, provozierend und spannend. Vor kurzem habe ich mal geschrieben, dass ich noch nie ein Buch gelesen habe, in dem so viele Protagonisten mitspielen. Dieser Roman kann es definitiv toppen. Aber keine Angst, den Überblick verliert man nicht, da die Story einen so in den Bann zieht und man den Roman nicht aus der Hand legen möchte. Alle Charaktere haben ihren Reiz, werden authentisch und lebendig dargestellt und können ihre Gefühle und Gedanken sehr gut zum Leser transportieren. Neugierde kommt auf, als die Auserwählten und die Organisatoren vorgestellt werden und man im Laufe der Geschichte immer mehr über sie erfährt. Es gibt Rückblicke darauf, wie sich die Strippenzieher gefunden haben, auf die Idee für den Coup gekommen sind, alles minutiös und von langer Hand geplant haben, die Geiseln in ihre Gewalt nehmen und wie der Showdown und das Spiel beginnt. Was für Ausmaße das alles annimmt, realisiert man erst durch die Vorstellung des ersten Kandidaten anhand eines Imagefilms und die Zeit bis zur Abstimmung und der Urteilsverkündung. Es ist Wahnsinn, wie man als außenstehender Beobachter auf die Reaktionen der Menschen wartet und über ihre Sorglosigkeit, ihr unüberlegtes schnelles Handeln, ihre Sucht nach Sensationen und die Hoffnung auf einen Megagewinn, nur den Kopf schütteln kann. Zum Glück gibt es so Menschen wie Opa Fritz, der misstrauisch ist, nachdenkt, Dinge hinterfragt und aus dem die Stimme der Vernunft spricht. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit in der Geschichte bleibt mehr im Hintergrund. Es ist aber erschreckend mitzuerleben, wie machtlos sie sind und wie sie von den Organisatoren vorgeführt werden.
Bis zum Schluss bleibt es spannend und ich habe mit dem unvermuteten Ende nicht gerechnet.
Mein Fazit:
„Reality Show“ ist definitiv ein Roman der einen zum Nachdenken bringt und der nachhallt. Spannung, Nervenkitzel und Lesesucht werden einem hier geboten und ich spreche für das Buch sehr gerne eine Leseempfehlung aus. Trotz, dass die Geschichte sehr gut durchdacht wurde, sind bei mir aber noch einige Fragen offengeblieben. Ich gehöre hier anscheinend zu der Fraktion „Opa Fritz“.