Rezension

Erschreckend, aber vermutlich Realität

Die Kinder sind Könige -

Die Kinder sind Könige
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

Schon als junges Mädchen war Mélanie Dior ein Fan von Reality Shows, doch sie selbst scheiterte bereits in der ersten Episode von „Rendez-vous dans le noir“. Was liegt also näher, als diese Träume nun als Mutter auszuleben und ihre beiden Kinder vor der Kamera zu präsentieren. Auf ihrem Kanal „Happy Recré“ zeigt sie das tägliche Leben mit Sammy, Kimmy und Ehemann Bruno. Doch als eines Tages die kleine Kimmy verschwindet, wird das gesamte Ausmaß der Ausbeutung hinter den  unschuldigen Videos sichtbar.

Delphine de Vigan greift in ihrem neuen Roman „Die Kinder sind Könige“ ein sehr brisantes und aktuelles Thema auf: die Präsentation der eigenen Kinder auf Social Media-Kanälen. Erzählt wird die Handlung dabei aus verschiedenen Perspektiven und ist wie eine Fallakte mit Vernehmungsprotokollen und Beschreibungen von Beweismitteln aufbereitet. Kriminalpolizistin Clara Roussel liefert uns dabei ihren Blick auf die Ereignisse. Mit den sozialen Medien hatte sie bisher wenig Berührungspunkte und ist daher auch geschockt, als sie den Kanal der Familie sichtet. Hat denn niemand festgestellt, wie traurig und abwesend die kleine Kimmy seit Wochen aussieht? Und wie sehr ihr großer Bruder Sammy sich abmüht, sie gleichzeitig zu schützen und den Fans eine gute Show zu bieten?

Der Roman ist definitiv kein Krimi, der Fokus liegt nicht auf der Lösung des eigentlichen Falls. Er ist viel mehr eine durchaus unterhaltsame, aber auch schockierende Sozialkritik an Eltern, die ihre Träume und Wünsche durch die eigenen Kinder ausleben wollen. Die sind dann zwar, wie der Titel es sagt, „Könige“ und haben materiell gesehen alles, was sie möchten. Versagt bleibt ihnen jedoch etwas viel Wichtigeres: eine Kindheit, bedingungslose Liebe und Privatsphäre. Vor allem Mutter Mélanie ist für das Leid ihrer Kinder entsetzlich blind.

Nach zwei Dritteln wechselt die zeitliche Ebene und wir erleben die Diors im Jahr 2031, in welchem die Autorin auslotet, welche Ausmaße die sozialen Medien angenommen haben könnten und gleichzeitig schildert, was aus der Familie geworden ist. Ein wirklich erschreckender Roman, der von der Realität gar nicht so weit entfernt sein dürfte.