Rezension

Brandaktuell: Kinderseelen für Likes

Die Kinder sind Könige -

Die Kinder sind Könige
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

Hört mit dem Wahnsinn auf, die Seele eurer Kinder für schnelle Likes zu verkaufen! Die Message des brandaktuellen Romans „Die Kinder sind Könige“ könnte nicht klarer formuliert sein. Hier straft die französische Autorin Delphine de Vigan eindrucksvoll all die Eltern ab, die nicht davor zurückschrecken, ihre Kinder ständig in die Öffentlichkeit zu zerren, um der Außenwelt eine rosarote Scheinwelt vorzugaukeln und damit Aufmerksamkeit sowie zweifelhaften Ruhm auf Kosten der Kinder zu ernten.

Schon im Jahr 2001 ist die unsichere Mélanie verrückt nach Sendungen wie Big Brother, die im Trash-TV laufen und den Protagonisten Bekanntheit bescheren. Ihr selbst bleibt diese Erfahrung verwehrt, da sie scheinbar für diese Produktionen zu unscheinbar und langweilig ist. Daran hat die junge Frau lange zu knabbern. Doch nach der Geburt ihrer Kinder scheint endlich ihre Zeit gekommen und sie vermarktet diese zunehmend erfolgreicher über den You-Tube-Kanal Happy Récré. Objekt ihrer Veröffentlichungen sind stets ihre Kinder, die auf Schritt und Tritt gefilmt werden und denen so die Kindheit genommen wird. Statt mit anderen Kindern zu spielen und die Welt zu entdecken, stehen sie stundenlang vor der Kamera und vermarkten so Produkte der Wegwerfgesellschaft. Ihre Kinderzimmer quillen vor Spielzeug über, aber Freunde haben sie nicht. Mélanie schwebt hingegen auf Wolke sieben; ihren Traum, berühmt zu sein, hat sie realisiert, denn die Follower-Zahlen steigen ins Unermessliche. Ganz Frankreich kennt sein nun, die Super-Mama! Als netter Nebeneffekt profitiert sie finanziell enorm von diesen Klicks. Dabei registriert sie in keiner Weise, wie ihre kleine Tochter darunter leidet und mit der Zeit immer depressiver und wütender wird. Auch für die Bedürfnisse des nur wenig älteren Sohnes, der alles dafür tut, es der Mutter recht zu machen und gleichzeitig die kleine Schwester zu schützen, hat sie kein Gespür. Alles, was zählt, ist die Anerkennung ihrer Follower, denen sie tagtäglich beweist, dass sie ein beneidenswertes Leben führt. Ihre Idylle wird erst getrübt, als plötzlich die kleine Kimmy spurlos verschwindet. Die Polizistin Clara nimmt die Ermittlungen auf und begibt sich dabei auf eine Suche in einer ihr unbekannten Welt.
Der oberflächlichen Mutter wird hier diametral eine fast asketische Frau im selben Alter gegenübergestellt, die nicht hätte unterschiedlicher sein können. Ihre Funktion ist es, die teuflische gesellschaftliche Entwicklung der Social-Media-Welt wie durch ein Brennglas zu vergrößern, denn Clara – und somit auch der Leser- kann dieses Verbrechen an den Kindern nicht fassen. Und damit ist nicht nur die Entführung gemeint!
Delphine de Vigan ist hier ein Werk gelungen, das man allen Eltern ans Herz legen möchte, die jeden Schritt ihrer Kinder – vom ersten Ultraschallbild bis hin zum Abitur - über die digitalen Medien in die Welt schicken. Es zeigt auf sehr beeindruckende Weise auf, wann und wie dieser Wahn begonnen hat und wohin er unsere Gesellschaft führen wird. Aber auch literarisch hat der Text einiges zu bieten: Ein intelligenter Textaufbau unter Einbezug verschiedener Zeitebenen, der die Spannung sehr geschickt steigert und den Leser schier in die Geschichte saugt, starke Protagonisten und eine sensible und gleichzeitig raffinierte Sprache, um nur einige Punkte zu benennen!
Meines Erachtens handelt es sich hier um eines der Bücher, die man unbedingt gelesen haben sollte!