Rezension

Ein grausiges Thema alleine macht noch keinen Thriller

Und nachts die Angst - Carla Norton

Und nachts die Angst
von Carla Norton

Dieses Buch stand schon eine Weile auf meinem Wunschzettel. Mit entsprechenden Erwartungen habe ich es dann schließlich aufgeschlagen und mit dem Lesen begonnen. Allerdings erhielt mein Enthusiasmus schnell einen gehörigen Dämpfer.
Wobei das ganz klar nicht am Thema liegt. Kindesentführung, sexueller Missbrauch und Folter an Kindern…das sind Themen, die erstens für einen Thriller wunderbar taugen und die zweitens den meisten Lesern die Hasskappe überstülpen dürften. Entsprechend entsetzt war auch ich als sich nach und nach herausstellte, was Reeve einst durchgemacht hat, und was drei andere Mädchen noch immer erleben müssen. Da hofft man unweigerlich, dass der Täter erwischt wird und seine verdiente Strafe erhält. Und das bürgte für mich hier zunächst auch für gut Spannung.
Mit Reeve hatte ich anfangs trotzdem so meine Probleme. Ich bin überzeugt davon, dass ein Schicksal wie ihres einen Menschen bis in die Wuzeln verändert. Und dass es ihr Leben lang Spuren hinterlässt. Gar keine Frage. Das ändert aber nichts daran, dass ich mit so vernunftgesteuerten Charakteren nicht so gut warm werde.
Glücklicherweise geht mit Reeves neuer Aufgabe eine Wandlung mit ihr vor.
Fixiert darauf, Tilly und den beiden anderen Mädchen zu helfen wo es nur geht, wächst Reeve über sich hinaus. Das habe ich zwar bewundert, aber für so ganz realistisch kann ich es nicht halten. Von der recht scheuen Bedienung, die sich Lokal hinter den Sojaflaschen versteckt hin zur toughen “Ermittlerin”, die nachts mal einfach in das Haus eines Kinderschänder eindringt, das fand ich nicht ganz glaubwürdig.
Wobei das nur das kleinere Problem ist, das ich mit dieser Geschichte hatte. Das viel größere ist, dass ich sie einfach nicht sonderlich spannend fand. Vor allem, weil man den Täter früh mit allem Drum und Dran kennenlernt und ihn auf seinen Touren quasi begleitet. Sicher, man darf noch gespannt sein ob und wie er mal überführt wird, aber für mich macht die Frage, wer der Täter ist bei Thrillern / Krimis den größeren Anteil an der Spannung aus. Ich knobele sehr gerne mit und es macht mir immer Spass, die Ermittlungen der Polizei zu verfolgen. Beides war hier kaum bis gar nicht möglich.
Zudem fand ich diese Kapitel mit dem Täter oft ausgesprochen langatmig und teilweise so langweilig, dass ich in Versuchung war, ab und zu mal einen Absatz zu überspringen. Das hätte man gerne kürzer fassen dürfen. Selbst dann hätte ich sicher noch geglaubt, dass er gleichermaßen grausam wie intelligent ist. Wer über so viele Jahre mit seinen Verbrechen durchkommt, der kann nicht einfach ein triebgesteuerter Idiot sein. So haben mich diese Kapitel jedes Mal gut ausgebremst.
Für meinen Geschmack hätte Carla Norton stattdessen ihr Augenmerk eher auf Tilly richten sollen und deren seelische Verfassung genauer und eindrucksvoller schildern sollen. Ich bin sicher, das hätte einen Schuss Spannung beigetragen. Ganz abgesehen davon, dass Tilly bei mir dann wohl auch ein anderes Bild hinterlassen hätte. Sie kam mir nämlich eine Spur zu gefasst vor angesichts ihrer Vergangenheit. Wenn man bedenkt, dass Reeve in der gleichen Situation war und jahrelang in Therapie war, dann kommt diese 12jährige verblüffend gut damit zurecht.
Zum Ende hin überstürzen sich dann die Ereignisse und dabei kam mir leider Vieles zu leicht vor. Vor allem für Reeve. Das habe ich der Story nicht ganz abnehmen können. Das wirkte schlicht so als hätte Carla Norton nun möglichst zügig zum Ende kommen wollen.

Wie gesagt sind mir die Kapitel mit dem Täter schwer gefallen. Hier wird zum Großteil nur erzählt und beschrieben, das wirkt schon optisch sehr wuchtig. Und genauso las es sich für mich auch. Die Kapitel bei Reeve, Tilly und der Polizei lasen sich leichter. Hier gibt es viele Dialoge, die auflockern sodass sich diese Passagen gut lesen lassen.

Das Cover gefällt mir für einen Thriller gut. Es ist schön düster. Außerdem gefallen mir diese Lichtschleier, die aus der zerbrochenen Glühbirne wabern. Das sieht direkt etwas gespenstisch aus

Fazit:  Mir fehlte es bei “Und nachts die Angst” an Spannung, da man nach wenigen Seiten bestens über den Täter informiert ist. Zudem wirkten einige wichtige Charaktere nicht ganz glaubhaft auf mich. Und das Ende ging ganz schön hoppla-hopp. Ein grausiges Thema alleine macht halt noch keinen Thriller aus.