Rezension

Versandet leider als Schmonzette – bis dahin durchaus spannend-gruselig, dabei eher Gothic Novel denn Psychothriller

Stiefkind - S. K. Tremayne

Stiefkind
von S. K. Tremayne

Bewertet mit 2.5 Sternen

~~Ich habe das Buch in einem Abend durchgehabt – die Handlung vermochte mich zu fesseln, ist spannend und mitreißend geschrieben. Allerdings lässt mich die Auflösung unzufrieden zurück – das muss man erst einmal hinbekommen, mich als Leser so spät im Buch, aber so nachhaltig zu verprellen. Jetzt kommt die Schwierigkeit, darüber etwas zu sagen – ohne zu viel zu verraten…das beginnt schon mit der Grundhandlung:

Großbritannien, London und vor allem Cornwall: Eine junge Frau aus ärmlichem Hintergrund verliebt sich in einen etwas älteren wohlhabenden Mann, dessen erste Frau unter mysteriösen Umständen starb, und zieht mit ihm in sein historisches altes Gemäuer, in dem die erste Frau bereits einen deutlichen Eindruck hinterlassen hat. Das darf als Grundhandlung durchaus bekannt vorkommen… Gestern Nacht träumte ich, ich sei wieder in…Carnhallow. Man kann das hier kaum spoilern, spielt doch Autor S.K. Tremayne sehr eindeutig damit, plus vielleicht einem kleinen Hauch von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, was Grusel und Mystik angeht (daher auch die Einordnung eher zu Gothic Novel – wobei das aktuelle „Loney“ mystischer ist). Es gibt auch keine gruselige Mrs. Danvers, dafür eine nette Schwiegermutter, die aufgrund von Alzheimer im Frühstadium gewisse Aussetzer hat – und gruselige frühere Minenanlagen in der Nähe und unterhalb des Hauses.

Die Variation des Themas beginnt damit, dass Rachel nicht nur David heiratet, sondern auch noch Stiefmutter des achtjährigen Jamie wird, der sehr unter dem Tod der Mutter vor rund zwei Jahren leidet. Und von da an spannt der Autor sein recht geschicktes Spinnennetz von Andeutungen und Ereignissen auf, in dessen Falle ich als Leser durchaus tappte: Jamie macht Andeutungen zu Vergangenheit und Zukunft – David will bestimmte Geheimnisse nicht ans Licht kommen lassen – Rachels Heranwachsen scheint traumatische Erinnerungen zu bergen…und dabei zählen die Kapitel tageweise die Zeit bis zum nahenden Weihnachten wie ein Countdown herunter, man lernt bald, welches Ereignis da droht. Jamie und Rachel sind viel allein, da David die Woche über als erfolgreicher Anwalt in London arbeitet – sein vorrangigstes Ziel ist der Erhalt des kostenintensiven Familienbesitzes. Was ahnt Jamie? Verliert Rachel den Verstand – oder will man sie das nur glauben machen? Was geschah mit Davids erster Frau? Und welche Geheimnisse hat David? Die ersten 40 Seiten sind dabei aus der Sicht von Rachel als Ich-Erzählerin geschrieben, ab dann lässt der Autor auch Davids Sicht in der dritten Person ans Licht treten – solidarisiert man sich zuerst leicht mit der den meisten wohl gesellschaftlich (zunächst) näher stehenden Rachel, wird danach geschickt mit den Sympathien des Lesers jongliert. Soweit zu den positiven Teilen.

Was dem Autor für die Auflösung einfiel, lässt das Niveau stark abfallen:
Im Buch spielt eine LANGE Botschaft eine Rolle, die an ein beschlagenes Autofenster geschrieben wird – ich vermute, es muss sich wohl um einen Bus handeln und ein wirklich SEHR geduldiges Kind, dass diesen Text schreibt (S. 124).
Ich habe schon in Leserunden erlebt, wie (besonders weibliche) Leser große Ablehnung äußerten, wenn (besonders weibliche) Hauptpersonen berufsbedingt wenig Zeit für ihre Kinder hatten – David hat kaum Zeit, daher wohl lässt ihn der Autor das sehr episch bedauern. „Das war es, woran man sich auf dem Sterbebett erinnern würde.“ S. 108. Das ist schön rosarot, aber der Mann HATTE einen abwesenden Vater mit Alkoholproblemen und trinkt nun selbst mehr als gelegentlich und schuftet sich selbst kaputt für – natürlich, den Erhalt eines alten Gemäuers, irgendwie in vollem Bewusstsein.
Das ach so geliebte Kind leidet, darf aber nach Wunsch des liebenden Vaters mit niemandem darüber reden, nicht einmal mit diesem – wegen etwas, bei dem der Geheimnisbedarf doch sehr fragwürdig erscheint – vor allem, da zumindest David zu Jamie doch ein-eindeutig steht, wie auch immer seine Handlungen in der Vergangenheit waren.
David sieht in Rachel immer noch die Erlösung, als parallel seine Pläne doch inzwischen recht anders laufen. Ach ja, und der verstorbene Freund von David war schon ein spezieller Spaßvogel, der ausgerechnet diese beiden als Paar zusammenbrachte.
Und Nina – da liebt eine Frau so sehr, dass sie zu illegalen Handlungen bereit ist – und lebt dann dieses Dilemma: suggeriert das Bindungsunfähigkeit oder doch unerwiderte Liebe? Ja, was denn nun?
Und zuletzt halte ich einige der Grundkonzepte zu Vererbung und Elternbindung für etwas…märchenhaft.

Fazit: Stark geschrieben und richtig gut auf dem Weg zum Höhepunkt (5 Sterne) – dann aber komplett verpuffend, da nicht nachvollziehbar abgesackt auf das konstruiert wirkende Niveau einer Vorabend-Privat-TV-Schmonzette. Schade.

Spoilergefahr: zum Geheimnis in der Vergangenheit: juristisch ist die vertragliche Handlung in Großbritannien sehr wohl erlaubt – allerdings darf keine Bezahlung erfolgen. Wozu also nach so vielen Jahren noch diese Geheimhaltung betrieben wird, wenn es doch einerseits kaum Quittungen geben dürfte, andererseits aus Behördensicht keine einleuchtende Gefährdung des Wohls des Betroffenen (zumindest vor dem ganzen Drama im Buch), leuchtet mir nicht ein.