Rezension

Gesellschaftlich, kritisch & fantastisch!

Roter Mond - Benjamin Percy

Roter Mond
von Benjamin Percy

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt: 
Auf dem Cover steht ein Zitat von John Irving. "Hätte George Orwell sich eine Zukunft mit Werwölfen ausgemalt, dann wäre gneau dieser Roman dabei herausgekommen."
Treffender hätte ich es kaum ausdrücken können. 
Eine Welt mit Werwölfen, Urban Fantasy, das hatten wir schon mal, denkt ihr jetzt. Aber lasst mich euch versichern, so wie es in diesem Roman ist, so hatten wir es bisher noch nicht.
Der Klappentext macht seinen Job hier sehr gut, daher gebe ich hier keine Inhaltsangabe an.

Meine Meinung:
Das ist das dickste Buch, welches ich seit Langem gelesen habe. Aber die 600 Seiten habe ich innerhalb von zwei Tagen ausgelesen und das ohne zu versuchen, das Buch schnellstmöglichst fertig zu lesen. Daher lasst euch bitte nicht von der Dicke abschrecken.

Ich halte mich schon seit der ganzen Twilight-Sache von Büchern mit hauptsächlich Vampiren oder Werwölfen fern. Das hat zum einen den Grund, dass die Handlung dieser Bücher häufig deckt. Irgendwann hat man dann diese Einstellung, dass man denkt "Hast du eines dieser Bücher gelesen, hast du alle gelesen." Vampir verliebt sich in Werwolf / Mensch / Fee / irgendeine andere magische Rasse, oder eben andersherum. Es geht immer wieder um die selben Themen, die Charaktere sind sich ähnlich und strotzen vor Klischees und so weiter und so fort.

Dennoch habe ich mich entschlossen Roter Mond zu lesen. Was mich an diesem Buch gereizt hat, war das Setting. Die Welt in der das Buch spielt ist unsere Welt. Keine Dystopie, keine Fantasy, keine Urban Fantasy. Benjamin Percy hat sich dazu entschlossen, eine Welt zu kreiren, in der Lykaner mit den Menschen zusammen leben. Doch ist das kein friedliches Zusammenleben der beiden Gruppen. Es gibt Menschen, so wie auch Lykaner, die gegen die andere Gruppe sind und sich zu rassistischen, radikalen und gewaltbereiten Organisation zusammenschließen, um die andere "Rasse" zu vernichten.
Die Umstände spitzen sich immer mehr zu, bis ganze Gebiete unter einem ständigen Krieg ähnlichen Zustand leiden. Menschen und Lykaner werden öffentlich gelyncht, gehetzt und gejagt. 

Die Handlung und das Setting sind sehr komplex und logisch. Hier wird nichts an den Haaren herbeigezogen, alles liest sich so, als wäre es die Wirklichkeit. Der Autor hat sich politische und gesellschaftliche Gedanken gemacht, das merkt man auch beim Lesen.

Es wird aus der Sicht von verschiedenen Charakteren erzählt, deren Handlungsstränge sich treffen, wieder auseinandergehen und am Ende zu einem Ganzen verschmelzen.
Zum einen ist da Claire, ein junges Mädchen, welches sich Gedanken über ihre Zukunft macht. Sie lebt in einer normalen Lykaner-Familie, ist nicht besonders stolz auf ihr Lykaner-Erbe und möchte einfach nur weg, auf ein entferntes College. Das alles ändert sich, als ihre Familie von irgendwelchen Leuten in ihrem eigenen Haus umgebracht wird. Claire flüchtet zu ihrer Tante, die ihrerseits ebenfalls gejagt wird …
Dann ist da noch Patrick, im selben Alter wie Claire, ein Mensch. Er überlebt einen Lykaner-Attentat in einem Flugzeug und muss zu seiner Mutter, da sein Vater eingezogen wird. Eines abends rettet er Claire, die beinahe von einem maskierten Irren umgebracht wird. Was er vorerst nicht weiß, ist dass Claire ebenfalls eine Lykanerin ist.
Neben Patrick und Claire, hat mir auch Claires Tante Miriam sehr gut als Charakter gefallen. Sie ist zäh, stark und mysteriös. Obwohl sie selber bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt, nimmt sie Claire bei sich auf und zeigt ihr wie man sich als Lykaner verteidigt.

Alle Charaktere im Buch haben eine eigene Persönlichkeit, eigene Ziele und Konflikte. Zum Ende hin machen alle eine Charakterentwicklung durch, die einen zum Guten, die anderen zum Schlechten …

Benjamin Percy schreibt sehr bildhaft und spannend. Seine Sätze schmückt er nicht durch schöne Metaphern aus, stattdessen beschränkt er sich auf einfache, klare Sätze. Etwas Anderes würde auch nicht zu diesem Buch passen. Er scheut sich nicht davor, auch mal brutalere Szenen umgeschminkt zu beschreiben, daher ist das Buch eher für hartgesonnerere und ältere Leser geeignet. Es gibt so einige Szenen, die nicht jugendfrei sind, also seid gewarnt. 
Gerade durch die kurzen und einfachgebauten Sätze, wird einem gar nicht bewusst, wie man plötzlich 600 Seiten gelesen hat. Die Handlung zieht sich in keinster Weise. Es ist immer spannend und es passiert immer etwas. Man hat nie das Gefühl, dass es momentan nicht vorwärts geht.
Das Buch ist in Abschnitte eingeteilt. Der erste Teil liest sich wie eine lange Einführung, beinahe schon wie ein Prolog. Hier werden die Charaktere und die Welt eingeführt, erst im zweiten Teil fängt die Hauptgeschichte an und das Tempo steigt mit jedem der Teile immer mehr.

In der Kürze liegt die Würze: 
Kritischer Roman, der schon fast als Gesellschaftsroman bezeichnet werden könnte; auch die Fantasyliebhaber werden hier ihren Spaß haben; schnelles Tempo; angenehme Schreibweise; interessante und echt wirkende Charaktere

Bewertung:  
Eigentlich wäre das Buch perfekt für mich. Wenn es nicht so ein Ende hätte. Diese letzten Seiten haben mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich weiß, dass manche Leser solche Enden mögen und auch ich mag Ähnliches, wenn es begründet ist. Aber so, wie es in diesem Buch ist, habe ich nur das Gefühl, dass der Auto gewollt einen bestimmten Effekt beim Leser erzielen wollte. Dadurch wirkt das Ende zu statisch für mich und passt nicht zu den restlichen 636 Seiten. Roter Mond bekommt dennoch  ♥ ♥ ♥ ♥ Herzchen von mir.