Rezension

Ein Jugendthriller, der unter die Haut geht

Die Wahrheit über Alice
von Rebecca James

Bewertet mit 4 Sternen

Geschichte und Erzählstil:

Rebecca James´ Jugendthriller "Die Wahrheit über Alice" lag schon ziemlich auf meinem SuB und als ich letztes Jahr auf dem Bücherzirkus das dazugehörige Hörbuch entdeckte, kam mir das sehr gelegen. Der Ausgangspunkt der Story hat mich schnell fasziniert, denn es geht gewissermaßen um Stalking, das allerdings nicht (wie bei den meisten Stalking-Fällen) romantisch motiviert ist, sondern eine tiefer liegende, anfangs unklare Ursache hat. Zunächst entwickelt sich zwischen den Teenagern Katherine und Alice eine ganz normale und bald sehr enge Freundschaft, wobei ich von Beginn an ein ungutes Gefühl hatte, denn Alice geht sehr zielstrebig auf Katherine zu, wählt sie gewissermaßen aus und ebenso wie die Protagonistin selbst fragt man sich als Leser unweigerlich - wieso eigentlich? Denn Katherine ist eine Einzelgängerin, gibt nicht viel von sich preis und vermeidet es tunlichst, im Mittelpunkt zu stehen. Sie ist das genaue Gegenteil der extrovertierten, lauten Alice.

 

Schnell wird außerdem klar, dass Alice kein Mensch ist, der anderen gut tut. Katherine ist erst einmal begeistert, fühlt sich von Alice´ Interesse geschmeichelt und fast schon geehrt davon, dass sie ihre Freundin sein darf. Doch bald offenbart sich Alice´ wahres Wesen: Sie ist selbstsüchtig, wenig empathisch und behandelt sowohl Katherine als auch ihren On-Off-Freund wie ihre Spielzeuge. Als man sich schon fragt, wie lange Katherine sich das gefallen lässt, zieht sie die Notbremse - aber damit fängt der Horror erst so richtig an. James gelingt es, Alice´ geheimnisvolle Obsession für die stille, zurückhaltende Katherine auf mitreißende Weise darzustellen. Dass durchgehend aus Katherines Sicht erzählt wird, lässt einen die unterschwellige Bedrohung beinahe am eigenen Leib spüren. Alice ist auf gruselige Weise immer präsent, ihre grausame und selbstsüchtige Art schockiert einen mehr und mehr - der psychologische Aspekt kommt ihr einfach fabelhaft rüber.

 

Rebecca James arbeitet außerdem mit Zeitsprüngen - so gibt es zusätzlich zur eigentlichen Handlung Kapitel, die vor beziehungsweise nach den Ereignissen um Katherine und Alice spielen. Den Fokus legt James dabei auf Katherines großes Geheimnis, auf den Fehler, der ihre Schwester Rachel das Leben kostete. Die Schuldfrage beziehungsweise der Umgang mit dieser Schuld stehen klar im Mittelpunkt. Katherine leidet noch immer stark unter den Vorkommnissen und ist offensichtlich psychisch labil - etwas, das Alice in ihrer Durchtriebenheit und ihrer blinden Wut schamlos ausnutzt. Wieso sie das tut, warum sie sich ausgerechnet auf Katherine eingeschossen hat - das bleibt natürlich bis zum Ende ein Geheimnis, die Auflösung kommt dann vielleicht überraschend, wirkt im Kontext aber gar nicht mehr so schockierend. Alice´ ganzes Verhalten, ihr Wesen und ihre Taten deuten es eigentlich schon an, nichtsdestotrotz fand ich Katherines Umgang damit sehr spannend und bewegend. Nur war mir das hochdramatische Ende vielleicht doch einen Ticken zu viel, hier hätte James ruhig ein bisschen auf die Bremse treten können, um das Ganze authentisch und nachvollziehbar zu halten.

 

Generell liest beziehungsweise hört sich der Roman sehr gut - auch wenn der Thrill einen nicht durchgehend an den Fingernägeln kauen lässt und zwischendurch bereits ziemlich viel aufgelöst und erklärt (hier und da vielleicht etwas zu viel) wird, sorgt die unterschwellige Bedrohung, dieses Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, dafür, dass die Geschichte bis zum Schluss spannend bleibt. Ich wurde sehr gut unterhalten, auch wenn "Die Wahrheit über Alice" nichts ist, was man so noch nie gelesen hat. Die Handlung wirkt hier und da leicht konstruiert und ist generell nicht wirklich genial gesponnen, aber man fiebert trotzdem mit und gerät beim Lesen / Hören in eine Art Sog - technisch gesehen hat es Rebecca James also alles in allem wirklich gut gemacht.

 

Sprecher:

Gelesen wird "Die Wahrheit über Alice" von der Schauspielerin Stefanie Stappenbeck, die ich bisher noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Ihre Interpretation der Geschichte hat mir aber wirklich gut gefallen, denn sie hat vor allem das zurückhaltende und zerbrechliche Wesen der Protagonistin Katherine wunderbar rüber gebracht und auch den anderen Charakteren eine authentische Stimme gegeben. Eine sehr gelungene Hörbuch-Produktion!

Mein Fazit
Ich würde "Die Wahrheit über Alice" nicht unbedingt als großen oder gar revolutionären Wurf bezeichnen - für mich ist es nichts, was noch nie so dagewesen ist. Trotzdem hat das Hören mir sehr großen Spaß gemacht, denn vor allem die Atmosphäre, das geheimnisvolle und bisweilen gruselige Wesen von Alice und die unterschwellige Bedrohung haben mich gefesselt. Das Ende war mir zwar etwas too much, als Jugendthriller und kurzweilige Unterhaltung überzeugt Rebecca James´ "Die Wahrheit über Alice" aber auf jeden Fall.