Spannend, düster, nachhaltig
Bewertet mit 4.5 Sternen
1975: Helga lebt als freischaffende Künstlerin in einer Kommune auf einem abgelegenen Hof am Chiemsee. Ihre Persönlichkeit, auch wiedergespiegelt in ihren Bildern, ist zerrissen und ihr Leben ist es auch. Zu ihrer Tochter Ulla hat sie vor langen Jahren den Kontakt abgebrochen.
2020: Ulla , die dringend eine kleine Flucht aus ihrem Leben braucht, begibt sich ins „ Häusl“, Bestandteil der ehemaligen Kommune am Chiemsee, in dem ihre Mutter Helga lebte, bis sie sich erschoss. Ulla geht auf Spurensuche nach der im doppelten Wortsinne abwesenden Mutter. Sie findet von Helga, als Vermächtnis an ihre Tochter, besprochene Kassetten. Ganz langsam beginnt sie, ihre Mutter kennenzulernen und zu verstehen, denn Ulla hat die Erfahrung der Zurückweisung zweifach erleben müssen; einmal, als Helga den Kontakt zu ihr abbrach und nun erneut, denn ihre Tochter Sandra hat ebenfalls den Kontakt zu ihr untersagt.
Das Buch verwebt in besonderer Weise die klassischen Themen in der Literatur; Schuld und Sühne, Liebe und Hass, Verlust und Sehnsucht , Verletzung und Rache. Aus Opfern werden Täter und aus Täter Opfer; die Übergänge sind fliessend und manche sind beides zugleich. Ellen Sandberg versteht es, eine Spannung zu erzeugen, die weniger aus äusseren Geschehnissen besteht, als vielmehr aus den inneren Dramen der Protagonistinnen.
Ein Abschnitt der deutschen Geschichte, zwischen den vierziger und den siebziger Jahren, spiegelt sich in Helgas Lebensgeschichte exemplarisch für eine ganze Generation wieder. Krieg, Vertreibung, Flucht, über den Neubeginn bis zu den freien „ Age of Aquarius „ Jahren. Doch lange Jahre unbeachtet, verschwiegen und unbearbeitet wirken die erlittenen Traumata weiter und bestimmen in weiten Teilen das Leben der Betroffenen und ihrer Nachkommen. Verstörend gut hat die Autorin dies in dem vorliegenden Buch geschildert.