Rezension

Nicht jede Erbschaft ist ein Segen

Sturmtod -

Sturmtod
von Volker Dützer

Bewertet mit 2.5 Sternen

Krimi-, Grusel-, Schauerroman, dessen Handlung im Urlaubsparadies Cornwall angesiedelt ist, dem es aber leider an Realitätsnähe mangelt.

Die Erbschaft, so unwahrscheinlich sie auch anmutet, kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt! Soeben nämlich ist Jennifer Nowak in einer Berghütte oberhalb des Schluchsees mit knapper Not und nur mit viel Glück dem Flammentod entkommen, muss sich aber damit abfinden, durch Brandnarben im Gesicht lebenslang gezeichnet zu bleiben. Obendrein noch ist ihr neuer Freund, der Arzt Miro, auf ungeklärte Weise durch einen Sturz ums Leben gekommen, als er kurz bevor der Brand in der Hütte ausbrach, auf dem Weg ins Dorf war, um dort einem erkrankten Touristen beizustehen. Aber zurück zu besagter Erbschaft! Ein geheimnisumwittertes, übel beleumdetes und recht verfallenes Herrenhaus an der wind- und wellengepeitschten Küste Cornwalls und dazu noch ein mehrere Millionen starkes Barvermögen soll da plötzlich in den Besitz der jungen Frau, deren Leben gerade in Scherben zerbrochen ist, übergehen, vermacht von ihrem unbekannten Großvater, von dessen Existenz sie bis dahin nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Im Waisenhaus aufgewachsen kannte sie zwar ihre Mutter, die sie, wohl weil sie selbst nur wenig mehr als ein Kind war, nicht aufziehen wollte oder konnte, doch hatte sie keinerlei Kenntnis von dem englischen Vater, dem einzigen, durch einen Unfall ins Jenseits beförderten, Sohn des reichen Lloyd Chapman aus dem südenglischen Plymouth.

Anfangs an einen schlechten Scherz glaubend macht sich Jennifer dennoch auf den Weg, ihr Erbe in Augenschein zu nehmen – und verliebt sich augenblicklich in das Haus, das einst ihrer Urahnin Margareth Clayton, ihrerseits auf rätselhafte, nie geklärte Weise ums Leben gekommen, gehört hatte und düster auf den Klippen über der Ortschaft Pennack thront. Hier gehört sie hin, das spürt sie sofort, hier würde sie bleiben und das Haus wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen – und darin ein Kinderheim eröffnen, ausgerechnet hier, direkt am Abgrund, wo die Gefahr an allen Ecken und Enden lauert. Aber darüber denkt Jennifer, typisch für sie, nicht nach. Sie hat das Geld und Punkt!

Dass ihr im Affekt gefasster Plan, ein rechter Jennifer-Plan, wie ihre ziemlich durchgeknallte Freundin Lou gesagt hätte, denn der unbedarften jungen Frau hatte es bis dato immer an Durchhaltevermögen gemangelt, nicht so einfach zu verwirklichen sein würde, stellt sie nur allzubald fest. Auch, dass ihr Bleiben nicht auf Gegenliebe stoßen würde bei den Bewohnern von Pennack bekommt sie zu spüren, zumal das Maugham Haus einen schlechten Ruf hat, unheimliche Dinge gingen und gehen noch immer darin und in dem großen verwilderten Garten vor sich, so ist man überzeugt. Und nicht zuletzt gibt es da einen gewissen Gareth, Jennifers Cousin, der sich selbst Hoffnung auf das großväterliche Erbe gemacht hatte und nun mit allen Mitteln versucht, die unerwünschte Cousine aus Deutschland zu vertreiben. Nur der gerade aus dem Gefängnis entlassene Travis steht ihr zur Seite, aus durchaus eigennützigen Gründen zunächst, denn er möchte unbedingt den Mord an seiner Freundin Susan aufklären, der ihm in die Schuhe geschoben worden war, ohne dass ernsthaft ermittelt worden wäre. Wegen seines versoffenen Vaters ohnehin schlecht beleumdet im Ort bot sich Travis als Sündenbock an und alle waren es zufrieden. Nun ja, sowas kann vorkommen, ist so abwegig nicht! Wie auch immer – dort oben im Garten des Maugham Hauses verlor sich Susans Spur in jener Nacht vor fünf Jahren, für die Travis kein Alibi vorweisen konnte....

Und nun nimmt die Geschichte, eine gewagte Mischung aus Krimi und Schauerroman mit romantischen Einschüben, ihren abenteuerlichen, undurchsichtigen und ja, auch unleugbar überraschenden Verlauf, bei dessen Konstruktion der Autor seiner Phantasie keinerlei Zügel angelegt zu haben scheint. Ein Geflecht aus Geheimnissen, üblen Machenschaften, Lügen und Vorurteilen wird ganz langsam entwirrt, und was da zu Tage kommt ist so gruselig wie es weit hergeholt ist, erinnert an die Klassiker der Gothic Novels, ohne selbst diesem Genre anzugehören, zu viele andere, nicht recht fassbare Elemente stecken in der Geschichte, der Spannung freilich nicht abzusprechen ist. Letztere wird zu einem nicht geringen Teil durch die gelungene, lebendige, bildhafte Schilderung der Naturgewalten erzeugt, die mit erstaunlicher Häufigkeit über Cornwall hereinzubrechen scheinen und die der ohnehin schon düsteren Geschichte die perfekte Kulisse verleihen! Man hört ihn toben und heulen, den Sturm, der passenderweise immer in der Dämmerung aufzieht, spürt den peitschenden Regen, der die Klippen noch schreckenserregender, noch gefährlicher macht als sie auch im trügerischen Sonnenlicht sind – und fühlt sich dabei sogar, kennt man sie denn, an Daphne du Mauriers berühmte Cornwall-Romane erinnert! Wer das Postkartenklischee des Urlaubsparadieses an der englischen Südküste im Kopf hat, findet dieses in Volker Dützers Roman nicht bestätigt, muss es vielmehr revidieren, denn es stimmt in der Tat nicht überein mit der Realität der eher armen Küstengegend, die vorwiegend vom Tourismus lebt.

Soweit, so gut – und wäre da nicht die Haken schlagende Handlung mit den zu dick aufgetragenen Klischees an sich, der ich nur streckenweise etwas abgewinnen konnte, und vor allem die seltsame Protagonistin, die der Autor ersonnen hat, hätte ich den Krimi-Schauer-Romantik-Roman durchaus befriedigt nach beendeter Lektüre zur Seite legen können. Jennifer Nowack aber macht dem einen Strich durch die Rechnung, ist in der Tat der große Schwachpunkt des Buches! Eine naive, nicht sehr gescheite, wankelmütige Person, die leicht in Begeisterung gerät, sofort unrealistische Pläne macht, die sie ebenso schnell wieder verwirft, vergisst, um sich etwas Neuem zuzuwenden – immer mit demselben Ausgang. Ihre einzige Begabung ist, wie man erfährt, die Leichtigkeit, mit der sie Sprachen lernt, beinahe abfällig, entschuldigend in einem Nebensatz erwähnt. Warum denn das? Eine erstaunliche Begabung ist das, eine, mit der sich viele Türen wie von selbst öffnen, sollte man meinen! Wenn man nicht gerade Jennifer ist, die doch allen Ernstes ihre guten, in Deutschland erworbenen, Englischkenntnisse damit erklärt, dass sie schließlich englische Wurzeln hat! Diese Argumentation, noch dazu von einer, wenn auch halbherzigen, Studentin der Anglistik hat mich einigermaßen sprachlos zurückgelassen – und wirft ein sprechendes Bild auf eben diese Jennifer, die in Cornwall eine Blitz-Metamorphose zur tatkräftigen, zielbewussten und willensstarken Energiebombe durchmacht, gleichzeitig die törichtesten Entscheidungen trifft, mit der sie der Gefahr direkt in die Arme läuft! Im Gegensatz zu ihr, die das Niveau der Geschichte beträchtlich hinunterdrückt, sind alle anderen, im Übrigen auch nur höchstens mittelmäßigen, Charaktere geradezu aufs Feinste gezeichnet, wenigstens aber mehr oder minder nachvollziehbar – wenngleich ich keinem von ihnen im wahren Leben begegnen möchte!