Rezension

Jahresringe

Das Flüstern der Bäume - Michael Christie

Das Flüstern der Bäume
von Michael Christie

Bewertet mit 4 Sternen

Je betrunkener er wird, desto stärker wird ihm bewusst, dass seine Mutter ihr Leben lang vor einer Gebrochenheit geflohen ist, einer Gebrochenheit, die von den gebrochenen Menschen vor ihr an sie weitergegeben wurde, und dass sie etwas von dieser Gebrochenheit an ihn weitergegeben hat, wie Kohlen, die man aus einem Feuer nimmt, um ein weiteres zu entfachen. Und dass er mit seinem eigenen Kind dasselbe machen würde, wenn er je eins hätte.“

Nach dem Lesen dieses sprachlich herausragenden Romans werde ich Holz wohl für immer mit anderen Augen betrachten, derartig ungewöhnliche und poetische Worte findet der Autor dafür.

Im Jahr 2038 sind Bäume eine Rarität geworden. Jacinda Greenwood verdient ihr Geld als Führerin auf einer abgeschiedenen amerikanischen Insel, auf der es noch eine sogenannte Baumkathedrale gibt, zu der täglich reiche Menschen pilgern, auch wenn Flüge extrem teuer geworden sind. Wie sehr Jacinta und ihr Name Greenwood mit der Insel verbunden ist, ahnt weder Jacinda noch der Leser. Doch der Autor nimmt uns mit in die Vergangenheit zu einer Reise in ihre Familiengeschichte, als reise man immer tiefer in die Jahresringe eines Baumes. Nach und nach entfaltet sich die Tragik der Familie Greenwood. Dies ist so raffiniert konstruiert, dass mich die Geschichte nach einigen Anfangsschwierigkeiten immer mehr gefesselt hat, auch wenn die Protagonisten nicht unbedingt Sympathieträger sind und eine Identifikation erschweren.  Stilistisch wird der Autor bereits mit John Steinbeck verglichen, so dass man hier durchaus einen modernen Klassiker vor sich haben könnte.