Rezension

Geheimnisse und vergebene Chancen

Julias Geheimnis - Juliet Hall

Julias Geheimnis
von Juliet Hall

Bewertet mit 3.5 Sternen

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern muss Ruby feststellen, dass sie nicht das leibliche Kind ihrer Eltern war. Ihr Bild von sich, ihrer Familie und ihrer Vergangenheit ist nicht mehr stimmig. Und so macht sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Julia, eine alte Nonne auf Fuerteventura, wird gleichfalls von ihrer Vergangenheit heimgesucht. Bis zurück zum spanischen Bürgerkrieg und zur Franco-Zeit reichen die belastenden Erinnerungen. Vor ihrem Tod möchte sie mit sich, Gott und ihrer Umwelt ins Reine kommen.

Was genau nun Julias Geheimnis ist und wie die Erzählstränge miteinander verknüpft werden, soll hier nicht verraten werden. Entstanden ist eine stimmige Geschichte, deren Handlungszusammenhänge sorgfältig konstruiert sind und deren Protagonisten sympatisch sind. Die Erzählperspektive, die kapitelweise zwischen Ruby, ihrer Mutter Vivien, der Nonne Julia und dem jungen Künstler Andrés wechselt, ermöglicht die Identifikation mit den unterschiedlichen Menschen.

Allerdings ist die Handlung nach den ersten Kapiteln voraussehbar: Ruby findet nicht nur ihre Wurzeln, sondern auch eine Liebe, einen wichtigen beruflichen Auftrag und vermutlich eine neue Heimat. Jede der vier Personen trägt ein Geheimnis aus der Vergangenheit mit sich; das wirkt etwas überfrachtet und überkonstruiert. Die Beschreibung von Ruby ist detailliert und liebevoll und man kann sich gut in ihren Gemütszustand versetzen. Leider ist dies bei Julia längst nicht so gut gelungen; die Zeit des Bürgerkriegs und des Franco-Regimes bleibt vage, die Schilderung ihres Lebens im Kloster und ihrer Arbeit in der Klinik wirkt blass. Die Problematik, um die sich ihr Geheimnis dreht, ist historisch verbürgt; die Chance, diese historische Situation plastisch zu schildern und heutigen Lesern vor Augen zu führen, hat die Autorin verschenkt. So bleibt denn eine nette Unterhaltungsgeschichte übrig.