Rezension

Eine unbekannte Frau, zum Leben erweckt...

Die Architektin von New York -

Die Architektin von New York
von Petra Hucke

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wer kennt diese Frau? Ich bisher nicht...

Petra Hucke hat mit ihrer Romanbiografie „Die Architektin von New York“ Emily Warren Roebling aus der Versenkung geholt und ihr ein literarisches Denkmal gesetzt. 

Die Brooklyn Bridge, die die Stadtteile Brooklyn und Manhattan miteinander verbindet – ich glaube, jeder Tourist hat sie mindestens einmal überquert – ist allen vertraut: aber was wissen wir eigentlich über die Architekten? Nur dunkel konnte ich mich daran erinnern, dass zumindest ein ausgewanderter Deutscher daran beteiligt war...

Ja, das ist richtig, aber die ganze Dramatik um diesen Bau war mir nicht bekannt und bewusst – und genau hier setzt die Romanbiografie von Petra Hucke an! Emily wurde 1843 geboren und heiratete1865 Washington Augustus Roebling, dessen Vater schon einige spektakuläre Brückenbauten geleitet hatte. Nun plante er eine Hängebrücke über den East River, starb jedoch 1869 an einer Tetanusinfektion – bevor der eigentliche Brückenbau begonnen hatte. Sein Sohn Wash (Emilys Mann) übernahm dann diese schwierige Aufgabe.

Die Autorin hat es sehr gut verstanden, uns Leser*innen in die komplizierten technischen Anforderungen an diesem Bau mit einzubeziehen. Sogar ich – mathematisch und technisch ziemlich „minderbegabt“ - konnte den Gedankengängen und Berechnungen folgen... und fand sie sogar ausgesprochen spannend!

Ich hatte bisher keine Vorstellungen, was es z.B. für eine schwierige Aufgabe war, die Stützpfeiler zu konstruieren, man musste mit Caissons (Senkkästen) arbeiten, lt Wikipedia „ein Kasten, der als Fundament oder Arbeitsraum unter der Wasseroberfläche versenkt wird. Für Unterwasserarbeiten wird im Senkkasten, ähnlich einer Taucherglocke, mit Überdruck das Wasser verdrängt.“ Vom Tauchen hate man damals noch keine Ahnung, so war es logisch, dass einige Arbeiter an der „Caisson-Krankheit“ (heute: Taucher- oder Dekompressionskrankheit) starben, bzw. lebenslange Schäden davontrugen. Dies passierte auch Wash, der besonders häufig in die Caissons steigen musste. Er schonte sich jedoch nicht und die Krankheit verstärkte sich immer mehr, so dass Emily immer häufiger seine Arbeit übernehmen musste (was sie übrigens sehr gern machte!).

Hier arbeitet die Autorin hervorragend die Konflikte heraus, die Emilys Berufstätigkeit zur damaligen Zeit mit sich brachte: als Frau von den Männern (Arbeiter und Geldgeber) nicht akzeptiert, als „Rabenmutter“ für ihren Sohn bezeichnet, auch würde sie sich nicht ausreichend um ihren kranken Mann kümmern usw. Aber wir erleben auch mit, wie sich Emilys Haltung selbst verändert: die Brücke wird langsam immer stärker zu „ihrem Projekt“...

Sehr interessant fand ich auch die Weltausstellung 1876 in Philadelphia beschrieben: hier probiert Emily ein Hochrad aus (dazu gab es für die Damen entsprechende Bekleidung), testet den „Sprechapparat“ von Graham Alexander Bell und besteigt die Attrappe der Freiheitsstatue (mit dem Eintrittsgeld wurde der Bau des Sockels der „echten“ Statue auf Liberty Island finanziert) – und hält ihre erste öffentliche Rede über die Hängeseile der Brücke!

Das Ergebnis des Baus ist kein wirklicher Spoiler: im Mai 1883 wird die Brücke eröffnet.

Ein Nachwort berichtet über Emilys weiteren Lebensweg: sie und ihr Mann bauten keine weiteren Brücken mehr. Emily engagiert sich bei Wohltätigkeits- und Frauenvereinen, unternimmt Reisen nach Europa und macht mit 56Jahren einen Jura-Abschluss. Auch wird erklärt, was Realität und was Fiktion ist...

Es ist eine Romanbiografie, also die Fantasie der Autorin ummantelt das Skelett der nackten Tatsachen, wie es gewesen sein könnte - aber es hat mir viel Spaß gemacht dieser Fiktion zu folgen. Ich kann dieses Buch allen empfehlen, die gern Bücher über (unbekannte) starke Frauen lesen – und eigentlich ist es für New York Touristen ein absolutes Muss!