Rezension

Wir stehen am Abgrund und merken es nicht

Every (deutsche Ausgabe) -

Every (deutsche Ausgabe)
von Dave Eggers

Bewertet mit 5 Sternen

Vieles von dem Geschilderten ist schon Wirklichkeit. In China herrscht ein "wunderbares" Belohnungssystem für Wohlverhalten. Das Dumme ist nur, wer bestimmt, was Wohlverhalten ist?

Kurzmeinung: Ist es wirklich noch 5 vor 12?
 

Als ich heute auf ZDF.info die Sendung „Weltmacht Amazon, Das Reich des Jeff Bezos“ anschaute, dachte ich, mindestens die Hälfte ist schon wahr beziehungsweise verwirklicht und wir stehen am Rande des Abgrunds. Amazon kauft Unternehmen auf, verschluckt sie und keins ward mehr gesehen. Die Monopolstellung von Every ist natürlich größer und gewaltiger, aber gar nicht so weit von der Realität entfernt wie wir es gerne hätten. Die von Dave Eggers ausgeschmückte ubiquitäre und omnipotente sanfte Gewalt von Every nimmt mit wenigen nullsteuerzahlenden Monopolisten in der Welt mehr und mehr Gestalt an. Eine Utopie ist es schon lange nicht mehr, was Eggers uns mit Absicht natürlich völlig überzogen ins Stammbuch schreibt. 

Wenn es nach Every geht, gibt es kein Privatleben mehr, keine Privatsphäre. Keine Privatgedanken. Alles wird publik und miteinander verglichen, ob es um die Qualität des Sex geht oder darum, schon die Kinder ein Ranking untereinander veranstalten zu lassen. Selbst, ob es dir schmeckt, sagt dir die App anhand deiner gemessenen Körperfunktionen! 

 Dave Eggers versprüht Witz und Ideen wie immer. Es ist ein Vergnügen „Every“ zu lesen und sich zu gruseln. Natürlich ist das Satire, was Eggers macht. Und dennoch läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Weil auch Eggers keinen Ausweg sieht. Seine Protagonistin Delaney probt den Aufstand. Was dabei heraus kommt, möchtest du nicht wissen oder du liest den Roman! 

Was dem Roman „Every“ fehlt, ist ein wenig Wagemut und ÜberdieStränge schlagen, ein wenig Bond oder Superwoman hätten nicht geschadet. Oder, ich traue mich kaum, es zu sagen, Sex. Eine verbotene Affäre. Was wir dagegen bekommen, ist ein kranker Hund. Mit dem wir natürlich Mitleid haben. Und den Abgrund. Den bekommen wir auch. 

Was die Atmosphäre angeht und das politische Klima: Mit unserer political correctness, in der heute diskriminierende (aber sehr lustige) Witze über Ostfriesen und Blondinen nicht mehr denkbar wären (sind?) - sind wir schon sehr nahe an der Meinungsdiktatur, die  durch Every abgebildet ist, angelangt.

Fazit: Ein Spieglein wird einem vorgehalten, in das man nicht gucken möchte. Wie immer ein wunderbar zu lesendes Feuerwerk an Einfällen. 

Kategorie: SF. Dystopie
Verlag: Kiwi, 2021

Kommentare

Emswashed kommentierte am 14. November 2021 um 18:20

Heute stehen wir am Abgrund, aber Morgen sind wir schon einen Schritt weiter. ;-))