Rezension

Wiener Blut

Die Totenärztin: Wiener Blut -

Die Totenärztin: Wiener Blut
von René Anour

Bewertet mit 4 Sternen

Wien im Jahr 1908. Dem Leichnam eines Obdachlosen wird in der Gerichtsmedizin keine Beachtung geschenkt. Nur die junge Ärztin Fanny Goldmann sieht genauer hin und ihr fällt Widersprüchliches auf. Die Kollegen tun ihre Einwände bezüglich der Todesursache ab und so nimmt Fanny die Sache selbst in die Hand.

„Die Totenärztin: Wiener Blut“ ist ein berauschend-charmanter historischer Roman, der mit der Zeit um 1900, dem komplizierten Stand der Frauen, medizinischen Fakten und einer originell kriminalistischen Handlung in die Walzeratmosphäre der Kaiserstadt führt.

Als die Leiche eines Obdachlosen in die Gerichtsmedizin eingeliefert wird, fallen Fanny Ungereimtheiten auf. Ihre Kollegen nehmen sie nicht ernst, unter anderem auch, um sich Ärger zu ersparen. Aber Fanny drängt es, Antworten zu finden. Daher schneidet sie die Leiche kurzerhand persönlich auf. Jedoch hätte sie niemals diese Konsequenzen geahnt.

Protagonistin Fanny Goldmann hat sich einen schwierigen Weg ausgesucht. Sie studierte Medizin und ist approbierte Ärztin. Nur im Wien von 1908 ist sie damit lediglich einea besser gestellte Leichenwäscherin. Ihr berufliches Interesse war schon immer auf die Gerichtsmedizin gerichtet und mit ihrer professionellen Neugier bringt sie sich in eine prekäre Situation. Privat lebt Fanny eher zurückgezogen, weil in ihr der Eifer für ihren Beruf brennt. Sie kümmert sich um ihren von Krankheit gebeutelten Vater, erträgt die Ratschläge ihrer Tante und trifft sich manchmal mit einer Freundin, welche ihr Dasein vergnüglichen Stunden gewidmet hat.

René Anour hat mit seiner Fanny eine fesselnde Figur geschaffen, die sich trotz der schwierigen Umstände keinesfalls von ihren Ambitionen abhalten lässt. Anfangs ist sie zurückhaltend, überlegt und handelt bedacht. Doch rasch regt sich ihr wissbegieriges Gemüt und daraufhin folgen Situationen, denen sie wagemutig ihr Haupt entgegenstellt. 

Die Figuren sind allesamt exzellent beschrieben und ich habe mich allein von ihren Wesenszügen ausgezeichnet unterhalten gefühlt. Umrandet wird das Repertoire von einer atmosphärischen Walzerstimmung, die zur Melodie von Wiener Blut durch die Handlung gleitet.

René Anour bietet mit diesem Werk nicht nur kriminell gute Unterhaltung, sondern spricht wichtige Themen an. Er zeigt, in welchem Rahmen sich die Frauen von 1908 bewegten, wie eingeschränkt sie durch gesetzliche, gesellschaftliche und moralische Regeln waren und welche Wege und Mittel sie fanden, um zumindest teilweise daraus auszubrechen.

Die Krimihandlung hat mir ausgezeichnet gefallen, weil sie einfallsreich, historisch interessant und abwechslungsreich ist. Anour beschränkt sich nicht auf einen Mordfall, den es zu lösen gilt, sondern tänzelt im Dreivierteltakt um Hürden herum, welche unterhaltsam und überraschend sind. Neben Medizinfakten und der ideenreichen Ermittlungsarbeit von Fanny Goldmann, gibt es charmante Spionage, historische Details von altem Adel und berauschende Einblicke in die Wiener Palais, die sich zu einer facettenreichen, lebendigen Melodie vereinen, wie es der Titel verspricht.

Genauso ist der Erzählstil des Autors. Anour vermittelt tänzelnde Leichtigkeit, obwohl er von unschönen Details, Praktiken in der Gerichtsmedizin oder gefährlichen Begegnungen schreibt. 

Wie es bei mir oft ist, war ich mit dem Ende nicht völlig glücklich. Der Roman schließt in einem Cliffhanger, der wahrlich gemein ist und nach dem Folgeband lechzen lässt. Und leider gibt es persönliche Verstrickungen, was mir gar nicht gefällt. 

Dennoch empfand ich es als äußerst charmant, mit der wagemutigen Fanny Skalpell schwingend in der alten Kaiserstadt auf Spurensuche zu gehen, und ich freue mich, dass es mit „Die Totenärztin. Goldene Rache“ weitergeht. 

Die Totenärztin:
1) Die Totenärztin. Wiener Blut
2) Die Totenärztin. Goldene Rache
3) Die Totenärztin. Donaunebel