Rezension

Definitiv empfehlenswert!

Die Totenärztin: Wiener Blut -

Die Totenärztin: Wiener Blut
von René Anour

Bewertet mit 5 Sternen

Fanny Goldmann hat ihr Medizin-Studium abgeschlossen und arbeitet nun in der Gerichtsmedizin. Allerdings nicht als Pathologin, wie es ihr Wunsch war, sondern als Prosekturgehilfin. Denn als Frau im Jahre 1908 wurde ihr von männlichen Kollegen nur wenig zugetraut. Deswegen hört auch keiner auf sie, als ein Obdachloser eingeliefert wird und Fanny ihn obduzieren will. Kurzerhand führt sie die Obduktion verbotenerweise selbst durch. Der Mann wurde tatsächlich mit Morphin ermordet. Fanny beginnt selbst zu ermitteln und bringt sich damit in eine ungeahnte Gefahr …

René Anour entführt seine Leser ins Wien rund um die Jahrhundertwende. Krimi trifft auf Medizinhistorie und eine ordentliche Portion Humor. Hier liegt für mich die größte Stärke des Buches: eine solche Kombi ist mir bislang noch nie untergekommen. Denn trotz des Humors verliert die Geschichte nicht ihren übergreifenden Ernst und ihre Spannung. Aber auch die Medizin kommt nicht zu kurz – die Obduktionen werden detailliert beschrieben, was vermutlich nicht jedermanns Fall ist, aber dem Krimi seine eigene Note verleiht. Und für mich eines der Highlights dieses Buches war. Was sonst häufig ausgenommen und übersprungen wird, wird hier mit eingebunden. Auch die historischen Hintergründe sind gut recherchiert, Abweichungen werden in einem Nachwort erläutert und begründet.  Auch kleine Details werden am Rande eingewoben und schaffen so eine wunderbare Atmosphäre.

Neben den genannten Aspekten wird auch die gesellschaftliche Rolle der Frau immer wieder am Rande erwähnt – nicht zu penetrant und doch so, dass man als Leser die Zeit verstehen kann. Und an manchen Stellen auch mal wütend wird.

Die meisten Figuren sind liebenswerte Unikate. Fanny, die sich gegen die Erwartungen ihrer Zeit stellt und ihren Weg geht. Obwohl ihr Vorgesetzter mehr als nur deutlich macht, was er von Frauen hält, die „Karriere“ machen wollen. Fanny strotzt zwar nicht immer vor Selbstbewusstsein, beweist jedoch jedes Mal Mut, wenn es darauf ankommt und ist insgesamt eine beeindruckende junge Frau. Meine unangefochtene Lieblingsfigur war allerdings Tilde – Fannys beste Freundin. Eine schillernde Nebenfigur, die man einfach gernhaben muss. Aber auch alle anderen Figuren sind liebevoll ausgearbeitet. Selbst die unsympathischen, wie Fannys Vorgesetzter Prof. Albin Kuderna.

Der Schreibstil hat mir gut gefallen, durch die Beschreibung der Umgebung entsteht eine wundervolle Atmosphäre. Manchmal locker und leicht, dann wieder düster und ein wenig unheimlich. Selbst wenn man Wien (wie ich) nicht kennt, kann man sich die Umgebung und die wichtigsten Handlungsorte gut vorstellen.

Die Handlung ist von den ersten Kapiteln an spannend. Vor allem in der zweiten Hälfte warten viele überraschende Wendungen auf die Leser. Für mich persönlich war der Fall bis zum Ende nicht vollkommen zu durchschauen – auf den Täter wäre ich niemals gekommen. Was allerdings nicht daran liegt, dass die Auflösung an den Haaren herbei gezogen wäre, im Nachhinein betrachtet gibt es durchaus Andeutungen auf den Täter.

Für mich ein gelungener historischer Krimi, der alles mitbringt, was das Genre braucht. Ich bin – nicht nur wegen des Cliffhangers am Ende – gespannt auf den zweiten Teil der Reihe um „die Totenärztin“ Fanny Goldmann!