Rezension

Wie einschläfernd kann eine Diktatur sein?

Der ehemalige Sohn -

Der ehemalige Sohn
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 2.5 Sternen

Der sechzehnjährige Franzisk, genannt Zisk, hat keinen Bock auf Cello, keinen Bock aufs Konservatorium, will eigentlich nur mit Freunden abhängen und am Abend seine neue Freundin zum Konzert mit Bierfest treffen - um das Klischee zu bedienen, typisch Pubertät. Doch dann kommt alles anders - die Freundin verspätet sich, ein Hagelschauer geht nieder, die Menschen stürmen die U-Bahn. Doch die ist abgesperrt, und in dem Gedränge an den Gittern sterben 50 Menschen und 300 werden verletzt... Zisk fällt ins Koma und nur seine Großmutter glaubt an ein Erwachen.

Leider verrät bereits der Klappentext die Hälfte der Handlung und so beginnt das Buch nur mäßig spannend. Es lebt zu Beginn von den verschiedenen Strategien der Menschen mit der realexistierenden belarussischen Diktatur zurecht zu kommen und sich in dieser einzurichten. Hier gibt sogar teilweise amüsante Momente, doch mit dem Unglück ändert sich alles.

Jetzt kämpft die Grußmutter für ihren Enkel und reibt sich am System auf und dann beginnt das, was mir die Lektüre ziemlich verleidet hat, ein typischer Fatalismus setzt ein und legt sich wie Blei über das Buch und die Handlung.

Ich verstehe schon, was Herr Filipenko mir sagen will, und das es alles Metaphern für die Diktatur sind, aber leider wird der beschriebene Mikrokosmos mit allen möglichen und unmöglichen Schicksalsschlägen bombadiert, so dass es am Ende alles nur viel zu viel war. Und um auf 320 Seiten auch ja alles unterbringen zu können, wird an vielen Stellen an der nötigen Ausarbeitung und Erklärung gespart. Und das Ganze wird dann auch noch von einem offenen Ende mit zwei Lösungsmöglichkeiten gekrönt. Je nach eigenem Temperament kann man also ein Happy End oder eine Tragödie konstruieren. Ich habe mich am Ende für die Tragödie entschieden, denn dies ist für mich der einzige logische Ausgang nach den unendlichen Schicksalsschlägen.

Den Stil zu bewerten fällt mir schwer, ich habe ihn als sehr schwankend empfunden. Es beginnt mit Sätzen wie "Wie ein Tiefflieger setzte die Sonne zur Landung an." (S.15) geht über in ein Bombardement aus Dialogen um über erschöpfende Monologe in der einseitige Betrachtung des Lebens aus der Sicht von Zisk zu enden.

Mir hat das Buch wenig gebracht, über die Zustände in Belarus hätte ich mir lieber eine gut gemachte Dokumentation mit politischen Einordnungen angesehen. Und das Schicksale von Zisk, seinen Freunden und seiner Familie war mir irgendwann auch ziemlich egal. Denn alles ist nur auf Wirkung ausgelegt und auf die Verbreitung einer einzigen Wahrheit: Die Diktatur in Belarus ist schrecklich! Das ist sicher so, denn alle Diktaturen sind schrecklich, aber mit diesem Wissen habe ich die Lektüre bereits begonnen.