Rezension

10 Jahre Stillstand

Der ehemalige Sohn -

Der ehemalige Sohn
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 4 Sternen

In diesem Roman beschreibt Sasha Filipenko  die politische Situation seines Heimatlandes Belarus sehr eindringlich. Die Ausweglosigkeit für die Menschen wird durch seine Sprache und gewählte Methapern schmerzhaft spürbar.

Der junge Franzisk, genannt Zisk, lebt bei seiner Großmutter, die ihn innig liebt. Er besucht ein Konservatorium mit Hauptfach Cello.

Auf dem Weg zu einem Konzert kommt es wegen eines Wolkenbruchs zu einer Massenpanik, die in einer Unterführung mündet. In dem Gedränge sterben viele Menschen, Zisk überlebt schwer verletzt, er fällt ins Koma, aus dem erst nach 10 Jahren erwacht. Ärzte, Mutter und Freunde haben ihn aufgegeben, aber seine Großmutter kämpft für ihn. Eine bewundernswerte, starke und warmherzige Frau, die ihn trotz der Krankheit in alle Geschehnisse mit einbezieht. Über diese Stellen und Monologe, von verschiedenen Besuchern am Krankenbett, erfährt der Leser vieles über das Land. Nach seinem Erwachen verlagert sich die Handlung aus dem Krankenhaus heraus in den belarussischen Alltag.

 

Filipenko überzeichnet seine Charaktere, jeder steht für sich nicht als Person, sondern für eine Gruppe. Es gibt Mitläufer, Resignierte, Opportunisten, Unterstützer des Regimes, Warmherzige Menschen u.v.m. Dadurch gelingt es ihm, die Gesellschaft und die Situation in der Diktatur gut darzustellen, die Personen selbst bleiben dem Leser aber fern, der politische Aspekt steht im Vordergrund. Zisks und sein Koma stehen als Metapher für das erstarrte Land. „Er schlägt die Augen da auf, wo er sie irgendwann einmal geschlossen hat. Wir erzählten ihm von irgendwelchen Unterschieden, aber im Großen und Ganzen hat sich nichts verändert.“

Die Sprache ist bildhaft und eindringlich, so bekommt man bei der Beschreibung des Gedränges als Leser Platzangst und bei der Zerschlagung einer Demonstration rennt man mit Zisk um sein Leben. 

Tatsächlich war mir zuvor nicht viel über Belarus bekannt, es beschränkte sich auf die Nachrichten aus dem letzten Jahr. Filipenko unternimmt hier einen eindringlichen Versuch, der Welt das Schicksal seines Landes nahezubringen, die so wenig Interesse zeigt, es ist die Waffe des Literaten, er will aufmerksam machen und aufklären. 

Insgesamt fand ich das Buch interessant und habe es gerne gelesen. Da im Klappentext Vieles schon verraten wurde, litt jedoch die Spannung etwas und der gewählte Stil hielt mich zeitweilig auf Distanz. Für die Hauptpersonen hätte ich mir stärker ausgearbeitete Charaktere gewünscht, die einen ansprechen und mitnehmen.  

Trotz der kleinen Mankos eine empfehlenswerte Geschichte, die keine ganz leichte Kost, aber ein gut verarbeitetes Stück Realität und Gesellschaftskritik ist.