Rezension

Ein wichtiges Buch, das mich nicht immer erreichen konnte

Der ehemalige Sohn -

Der ehemalige Sohn
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 3 Sternen

Franzisk, kurz Zisk genannt, wächst in Belarus auf. Als Teenager hat er einen schweren Unfall und liegt für fast 10 Jahre im Koma. Während dieser Zeit kümmert seine Großmutter liebevoll um ihn und versucht alles, um ihn aus dem Koma zu erwecken. Als er schließlich aufwacht, hat sich sein privates Umfeld natürlich gewandelt, doch im Land gibt es kaum Änderungen…

Sasha Filipenko lässt uns an einer Geschichte, die in seiner Heimat spielt, teilhaben. Zu dieser grauen, tristen und gefühlskalten Welt habe ich beim Lesen leider kaum Zugang gefunden. Ich kam mir vor, als ob ich das Geschehen durch eine Plexiglasscheibe beobachte. Zu sehr unterscheidet sich diese Welt von meiner Wirklichkeit.

Die Figuren, wie z.B. die Ärzte, sind in ihrer schonungslosen Offenheit sehr grausam. Ich merkte, wie ich vor Empörung und Entsetzen beim Lesen nach Luft geschnappt habe, weil ich gerne eingeschritten wäre. Vielen Figuren fehlte es an Mitgefühl und Sensibilität. Vielmehr waren sie abgestumpft und stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht.

Das Unglück, welches dazu führt, dass die Hauptfigur Franzisk, kurz Zisk, ins Koma fällt, hat der Autor sehr eindrücklich geschildert. Sowohl die Grausamkeit des Geschehens, aber auch die Dynamik und Arglosigkeit der Menge, werden sehr plastisch geschildert. Eine tolle Szene!

Sehr eindrucksvoll führt uns der Autor die politischen Verhältnisse des Landes vor Augen. Dazu bedient er sich häufig der Ironie oder wird sarkastisch. Doch zum Teil lässt er uns auch schonungslos an der Machtausübung des Diktators teilhaben. Dies waren für mich neben der Schilderung des Unglücks die stärksten Szenen des Buches.

Der Autor Sasha Filipenko und seine Bücher sind für sein Land sicherlich sehr wichtig. Ich bewundere seinen Mut, mit dem er die Zustände in Belarus anprangert. Leider konnte mich die Geschichte jedoch oft nicht überzeugen, da ich die Distanz zu den Figuren und ihrem Handeln nicht überbrücken konnte. Dadurch stand ich den Figuren und ihrem Schicksal letztendlich gleichgültig gegenüber. Doch genau dieses Miterleben, Mitleiden und Mitfiebern macht einen guten Roman für mich aus.