Rezension

Mit dem Satz des Phytagoras zurück in die Zukunft

The Upper World – Ein Hauch Zukunft
von Femi Fadugba

Bewertet mit 3 Sternen

Das kleine 1x1 sowie die Grundrechenarten beherrsche ich noch ganz gut und einfache Prozente kann ich im Kopf auch ausrechnen. Für den normalen Alltag komme ich also mit meinen Matheskills hin. Zahlen sind mir auch durchaus sympathisch. Nur diese Gleichungen mit ihren Unbekannten und zum Quadrat potenzierten Buchstaben machen mich schnell nervös. Und wenn es Richtung Physik geht, bin ich einfach raus. Das habe ich bei Femi Fadugbas Roman wieder ganz schnell gemerkt. In „The Upper World“ verbindet er Physik, rivalisierende Jugendgangs und Zeitreise miteinander und lässt in meinem Kopf viele schöne Knoten entstehen.

Esso lebt mit seiner Mutter im Londoner Süden und hat ein etwas größeres Faible für Mathematik als ich. Aber er lässt es ungern raushängen, weil das bei seinen Freunden in der Schule nicht sonderlich gut ankommt. Eines Nachmittags ist er zufällig dabei als eine Straßengang auf ein Mitglied einer anderen Gang trifft und Prügel bezieht. Es ist ausgerechnet der Bruder seines Klassenkameraden, der ihm vor ein paar Tagen einen Verweis in der Schule eingebracht hatte. Natürlich wird er erkannt und ahnt, dass nun richtig Ärger auf ihn zukommt. Wie groß der Ärger wirklich sein wird, offenbart sich für ihn auf spektakuläre wie beängstigende Weise mit einem Blick in die nahe Zukunft.

Auf einer zweiten Erzählebene 15 Jahre in der Zukunft begegnen wir Esso wieder. Als Nachhilfelehrer versucht er die 15jährige Rhia für Mathematik und Physik zu begeistern. Rhia hat eine gute Menschenkenntnis, das sichert ihr das Überleben als Vollwaise in unzähligen Pflegefamilien, und so stellt sie schnell fest, dass mit diesem Dr. Esso irgendetwas komisch ist.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir etwas zu alt vorgekommen bin für diesen Jugendroman. Der flapsige, auf jugendlich getrimmte Erzählton kam mir bei beiden Ich-Erzählern zu bemüht rüber. Aber das ist rein subjektives Empfinden. Als behütet aufgewachsenes Dorfkind fällt es mir auch schwer nachzuvollziehen, wie unverhofft Esso innerhalb weniger Tage in diesen Strudel aus Gewalt hineingezogen werden konnte. Das Herumhängen mit den falschen Leuten zur falschen Zeit löst eine völlig unverhältnismäßige Kettenreaktion aus, die sich letztlich bis in Rhias Zeitebene auswächst und in einen waschechten Showdown auf beiden Zeitebenen mündet.  

Wenn mich Fadugbas Roman als erfahrene Lesern nicht hundertprozentig überzeugen konnte, so finde ich es dennoch beeindruckend, wie er die Probleme von Jugendlichen in einem der sozialen Brennpunkte Londons verknüpft mit der unbestechlichen Welt der Mathematik und der unmöglichen Möglichkeit, Einfluss auf den Verlauf der Zeit zu nehmen. Besonders an der Figur der Rhia, die er sich 15 Jahre in unserer Zukunft denkt, wird deutlich, wie wichtig es für Jugendliche und ihren Lebensweg ist, aus welchem Zuhause sie kommen bzw. überhaupt ein Zuhause zu haben. Fadugba will mit seiner Geschichte auch deutlich machen, welche Macht Worte haben können. Er will seinen jugendlichen Lesern in ihrer Sprache Mut machen und sie bestärken, nicht alles zu glauben, was andere über dich sagen, was du alles nicht kannst oder nicht bist. Eine wichtige Botschaft in unserer aktuellen Gegenwart, in der auf TikTok, Instagram und Co Traumwelten verglichen werden und sich wildfremde Menschen die schlimmsten Dinge an den Kopf werfen.