Rezension

Kurzweilige Lektüre mit Tiefgang aber zu schnödem Abschluss

Barbara stirbt nicht -

Barbara stirbt nicht
von Alina Bronsky

Herr Schmidt, ein Mann, der denkt, da er der Mann im Haus ist, habe er auch alle Zügel in der Hand. Schon immer. In Wahrheit entpuppt sich der altbacken-konservativ verbohrte Herr Schmidt als ein hoch unselbstständiger Zeitgenosse. Bis zu dem Zeitpunkt, als seine Frau Barbara bettlägrig wird und nicht mehr die Geschicke im Verborgenen lenken kann. So sieht sich Herr Schmidt gezwungen, selbst Hand anzulegen und den Alltag der beiden zu bewältigen.

Unglaublich amüsant und gleichzeitig in seiner Überspitztheit sehr wahrheitsgemäß beschreibt Alina Bronsky ein nicht so seltenes Szenario. Der frühere „Geldverdiener“ (und mehr aber auch nicht) muss zum „Hausmann“ werden und realisiert, was die Ehefrau die letzten 52 Jahre eigentlich alles gestemmt und geschafft hat. Denn natürlich wissen wir: Keine Arbeit macht sich von allein. Feinfühlig zwischen „hinreißend“ und „bitterböse“ entlarvt Bronsky die mal mehr mal weniger offensichtlichen Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Ich bin begeistert. Der so unfehlbare Herr Schmidt ist nämlich bei weitem nicht unfehlbar oder gar perfekt. Die Leser*innen sehen, was er nicht erkennt oder nicht erkennen will. Dass sein Sohn, wenn er nach dem Enkelkind befragt antworten muss „Ist nicht meine Woche“, meint, dass er von der Kindsmutter getrennt lebt und ein Wechselmodell zur Kindsbetreuung existiert. Dass wenn die Tochter immer ihre „beste Freundin“ mit zu Familienbesuchen bringt, natürlich ihre Partnerin gemeint ist. Herr Schmidt ist nun einmal verbohrt altmodisch, versteht die Welt nicht sonderlich gut. Und doch ist der Blick von Bronsky immer feinfühlig, denn auch Herr Schmidt ist nicht ohne Grund so geworden, wie er ist. Das scheint immer wieder durch. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Autorin nimmt sich die Zeit, genauer hinzuschauen.

Eigentlich legt Bronsky damit einen sehr guten, kurzweiligen Roman mit Tiefgang vor. Die Figuren sind – auch wenn sie nicht die von vornherein absolute Sympathieträger sein können – doch mit Empathie angelegt und man schließt sie mit all ihren Ecken und Kanten ins Herz. Nur leider konnten mich die letzten 40 Seiten des Buches überhaupt nicht überzeugen. Da zaubert die Autorin plötzlich noch eine neue Figur aus dem Hut, führt sie nur kurz ein und macht sie zur Hauptperson des Buchendes. Das holt mich als Leserin einfach nicht ab. Hinzu kommt, dass auch diese Person auf ihre Art „besonders“ ist und aus der Norm fällt, sodass es scheint, als ob Bronsky auf Biegen und Brechen dem auf den ersten Blick vollkommen durchschnittlich wirkenden Herrn Schmidt, so viele diverse Figuren, wie nur möglich an die Seite stellen wollte. Das wirkt, neben der homosexuellen Tochter und dem Sohn, dessen Sohn übrigens „brauner“ Hautfarbe ist, also die Ex-Schwiegertochter eine Person of Color zu sein scheint, der russischstämmigen Ehefrau Barbara und anderen einprägsamen Randfiguren, doch alles sehr gewollt, zu überzufällig divers und in seinem Auftreten doch sehr unwahrscheinlich. Mit dieser Konstruktion des Romanpersonals im Sinne von: „only to proof a point“ habe ich Probleme. Das war dann wirklich zu viel des Guten. Ein bisschen wie ein zu schönes Weihnachtsmärchen.

Somit ist dies durchaus ein guter, auch zur Lektüre empfehlenswerter Roman geworden, der meines Erachtens zum Ende hin zu sehr schwächelt. Mit seeehr viel gutem Willen sind es noch gerade so 4 Sterne geworden, weil mir die Grundthematik von Pflege und Abschied mal unkonventionell umgesetzt erscheint.