Rezension

Klebrig-süß wie Honig.

Der Honigbus - Meredith May

Der Honigbus
von Meredith May

Bewertet mit 3 Sternen

„Bienen brauchen die Wärme einer Familie; eine einzelne Biene überlebt die Nacht wahrscheinlich nicht. […] Ich kannte das nagende Bedürfnis nach einer Familie. An einem Tag hatte ich eine, dann war sie über Nacht nicht mehr da.“ (S. 14)

Meredith ist fünf Jahre alt, als ihre Eltern sich trennen. In einer Nacht- und Nebelaktion zieht sie mit ihrer Mutter in ihrem jüngeren Bruder von Rhode Island nach Kalifornien zu ihren Großeltern. Dort versink ihre Mutter völlig in Traurigkeit, verbringt die Tage im Bett und zieht sich nach und nach komplett aus dem Leben zurück. Die Kinder sind überwiegend sich selbst und der Aufsicht ihrer exzentrischen Großmutter überlassen. Über den Vater, die Trennung und den überstürzten Umzug wird nicht gesprochen und so muss Meredith allein mit ihrem Schmerz und der veränderten Lebenssituation klarkommen. Einzig ihr Großvater, ein ruhiger Lebenskünstler und passionierter Imker, scheint sich für sie und ihre Sorgen zu interessieren. Mit seinem unerschütterlichen Vertrauen in die Natur und den unabänderlichen Lauf der Dinge werden er und seine Bienenvölker zum einzigen Halt in Merediths Leben.

„So begann mein Unterricht bei den Bienen von Big Sur, wo ich lernte, dass ein Bienenstock um ein Prinzip kreiste – die Familie. Grandpa lehrte mich die verborgene Sprache der Bienen, die Bedeutung ihrer Bewegungen und Geräusche, das Unterscheiden zwischen den verschiedenen Gerüchen, die sie absondern. […] Je mehr ich im Lauf der Zeit über die innere Welt der Honigbienen erfuhr, umso mehr verstand ich die äußere Welt der Menschen.“ (S. 14 f.)

Das Thema Bienen ist momentan in aller Munde - Blumenwiesen gegen das Bienensterben, Hobby-Imker in der Stadt, Veränderungen in der Agrarpolitik. Auch die Literaturbranche ist vor diesem „Trend“ nicht sicher. Doch nicht jeder, der auf diesen Zug aufspringt, hat etwas Wesentliches, etwas Neues, etwas Großes zu sagen. Manchmal ist es leider auch Zuviel des Guten. So ging es mir mit diesem Buch.

Meredith May erzählt in „Der Honigbus“ ihre eigene Geschichte. Es ist viel und bedrückend, was der jungen Protagonistin in ihrer Kindheit und Jugend zugemutet wird. Als Leser leidet man mit ihr, ärgert sich über ihre unbarmherzige Familie und freut sich über kleinste Erfolge. Meredith May schreibt fesselnd und hat trotz der Schwere der Themen einen leichten Stil. Dennoch wirken die Geschehnisse und Personen auf mich seltsam konstruiert und unnatürlich. Über den gesamten Handlungsverlauf bleiben sie in ihren Rollen, können nicht aus ihrer Haut heraus und erscheinen dadurch wie starre Schablonen ihrer Selbst. Die egoistische Mutter, die strenge Großmutter, der coole Hipppie-Vater in der Ferne, der geduldige Großvater und der gutmütige Bruder – sie alle werden auf der Handlungsbühne hin- und hergeschoben, verändern ihre Positionen, aber ändern sich doch kaum. Das mag den persönlichen Erinnerungen und Erlebnissen der Autorin geschuldet sein, keine Frage. Doch mir war diese Figurenzeichnung zu einseitig und zu dünn. Da man Meredith von ihrer Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter begleitet, kommt es innerhalb der Erzählung zu einigen Längen. Auf manche langatmige Erinnerung aus ihrer Kindheit hätte ich gut verzichten können, um dafür mehr über ihre Gedankenwelt in der Jugend und ihren späteren Verarbeitungsprozess zu erfahren. Ein wenig holprig ist auch die Erzählperspektive. Die „große“ Meredith erzählt zwar chronologisch aus ihrem Leben, übersieht aber an so mancher Stelle, dass die „kleine“ Meredith im Hinblick auf ihr Alter gewisse Dinge nicht wissen oder noch nicht so sehen konnte.

Sehr schön beschrieben wird allerdings die langsame Entwicklung einer innigen Beziehung zwischen Meredith und ihrem Großvater. Behutsam tastet sie sich an diesen wortkarten Mann und seine Bienen heran und fasst durch seine Unerschütterlichkeit wieder Vertrauen in die Welt. Als Leser erfährt man zusammen mit der jungen Protagonistin ganz nebenbei immer mehr über die faszinierende Welt der Bienen, das Imkern und einen achtsamen Umgang mit der Natur. Mithilfe der Bienen kann Meredith sich, ihre Umwelt und ihre Familie besser verstehen und einschätzen. Immer wieder zieht sie Vergleiche zwischen den verschiedenen Aufgaben eines Bienenstockes und ihrem Familiensystem. Das ist hübsch zu lesen, war mir auf Dauer (an jedem Kapitelende!) aber zu süß und aufdringlich.

„Obwohl die Bienen ihren Stock jeden Tag verließen, kehrten sie immer zurück. Es bestand kein Zweifel daran, dass eine Biene nur einen einzigen Daseinszweck hatte, nämlich bei ihrer Familie zu sein. Der Stock verhielt sich vorhersehbar, und das war beruhigend. Er war eine Familie, die sich nie auflöste.“ (S. 107)

Fazit:

Eine Geschichte wie Honig selbst.

Gehaltvoll in ihren Aussagen, an einigen Stellen klebrig-zäh und insgesamt ein wenig zu süß.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Juni 2019 um 20:46

Der Vergleich eines Bienenstocks mit einer Familie, - trifft das Leben der Bienen überhaupt nicht.

LySch kommentierte am 23. Juni 2019 um 00:17

Da hat sich ein kleines Mädchen mithilfe der Bienen die Welt erklärt. Schade nur, dass das große Mädchen nicht etwas reflektierter an die Sache heranging...

wandagreen kommentierte am 23. Juni 2019 um 08:11

Ein sehr schöner Merkspruch, Dear!