Rezension

Tolles und wichtiges Sachbuch

Muss ich das gelesen haben? -

Muss ich das gelesen haben?
von Teresa Reichl

„Muss ich das gelesen haben?“
Diese Frage habe ich mir schon früher gestellt, wenn es im Deutschunterricht hieß: Heute behandeln wir das 241. (Achtung: Übertreibung!) Buch von Goethe.
Deutsch war damals eines meiner Lieblingsfächer und ich habe alle Bücher, die wir lesen mussten, auch wirklich gelesen. Die meisten mochte ich sehr gerne, aber es gab auch 2, 3 Bücher, die mich heute noch im Schlaf heimsuchen (das kann aber auch am Lehrer liegen, der mir das Buch letztendlich - wegen stundenlanger Interpretationen - madig geredet hat). 
Trotzdem war ich genervt, wenn dann das 3. Buch von Goethe gelesen werden musste.. gibt es nichts anderes? Muss ich das wirklich gelesen haben?
Muss man dieselben Bücher immer noch lesen, die bereits unsere Eltern und unsere Großeltern gelesen haben? 
Genau mit diesem Thema setzt sich Teresa Reichl in ihrem Buch „Muss ich das gelesen haben? Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern“ auseinander.
Ihr Ziel ist es, den deutschen Literaturkanon umzugestalten.
Denn seien wir mal ehrlich. Die Werke, die wir in der Schule und im Studium lesen mussten, die heute noch unterrichtet werden und die bereits unsere Eltern lesen mussten, stammen fast ausschließlich von weißen cis Männern. Vom Mittelalter bis zur Postmoderne: (weiße cis) Männer, Männer, Männer.
Uns wurde damals gesagt „Frauen haben halt nicht geschrieben“, „das war halt so“. Teresa wird das sehr gut in ihrem Buch widerlegen. Auch, dass es sehr wohl andere Gruppen, wie queere Autor*innen, Bi_PoC Autor*innen, behinderte Autor*innen und noch viele mehr, gibt! 
Das Buch ist in drei Hauptkategorien unterteilt.
Im ersten Teil erklärt Teresa Fachbegriffe, was Literatur eigentlich ist, warum wir lesen sollten und was einen Klassiker ausmacht.
Der zweite Teil zeigt auf, welche Autoren im deutschen Literaturkanon vertreten sind und warum das eigentlich nur Männer sind.
Und im dritten Teil erhalten wir Buchempfehlungen aus vielen Bereichen. Denn Frauen haben sehr wohl geschrieben, und das schon immer. Und auch behinderte Menschen schreiben, auch Menschen verschiedenster Religion schreiben, auch queere Menschen schrieben, und und und.
Das alles erklärt uns Teresa aber nicht in einer trockenen Sachtext-Sprache, sondern herrlich locker und mit Witz. Ich hatte während des Lesens das Gefühl, ein spannendes Buch zu lesen und kein Sachbuch. Durch zahlreiche Fußnoten mit witzigen Anmerkungen wird das Ganze aufgelockert. Teresa schreibt so wie sie spricht, da fließen auch mal Anglizismen ein oder das Wort „lol“.
Wenn ich an Sachtexte denke, denke ich an sehr komplizierte, trockene Sätze, die ich öfter lesen muss um sie überhaupt zu verstehen. Das ist hier nicht so. Das mag anfangs erstmal ein bisschen verwirrend sein, denn es handelt sich ja trotzdem um ein Sachbuch und wir Deutschen müssen doch eigentlich alles sehr kompliziert machen. Hauptsache es klingt schlau. Das war hier aber zum Glück nicht der Fall. Denn vor allem möchte Teresa Jugendliche mit ihrem Buch ansprechen. Jugendliche sollen wieder Spaß am Lesen haben bzw. finden.
Dieses Buch ist so wichtig. Ich hoffe sehr, dass viele auf dieses Buch aufmerksam werden, es lesen und es vielleicht auch in die richtigen Hände fällt und so der deutsche Literaturkanon endlich umgestaltet werden kann.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, ich habe vieles Neues dazugelernt, mir wurden die Augen geöffnet und ich werde mir auf jeden Fall einige Bücher, die Teresa genannt hat, näher anschauen. Denn auch ich habe dringenden Nachholbedarf was Literatur von Frauen, Bi_PoC Autor*innen, Behinderten Autor*innen, etc. angeht.
Absolute Leseempfehlung