Rezension

Teppichfäden, Erzählfäden, Lebensfäden

Fischers Frau -

Fischers Frau
von Karin Kalisa

Bewertet mit 4 Sternen

Südliche Ostsee, 1928: Ein dreijähriges Fangverbot macht die Fischer arbeitslos – statt hinaus aufs Meer zu fahren, setzen sie sich an Webstühle und knüpfen Teppiche, die die Welt der See zeigen – oder der Welt die See, wie man es nimmt.

Diesen historischen Hintergrund nimmt Karin Kalisa zum Anlass, einen Roman um die Faserarchäologie Mia Sund und einen auf einem seltsamen Weg zu ihr kommenden Fischerteppich zu knüpfen. Der Teppich, um den es hier geht, ist in vielerlei Grüntönen gefärbt, verschiedene maritime Motive, die teilweise erst auf den zweiten Blick sichtbar sind, machen ihn zu etwas besonderem. Mia entdeckt in der Borte einen Hinweis auf die Knüpferin. Das veranlasst sie, die so zurückgezogen lebt, nach vielen Jahren eine Dienstreise zu unternehmen, die sie an viele Orte führt – real und fiktiv. Diese Reise und ihr Bericht, der statt eines Forschungsberichtes eine Liebes- und Lebensgeschichte der Knüpferin Nina wird, bringen sie zurück ins Leben.

Karin Kalisa hat einen berührenden Roman geschrieben. Die beiden Hauptfiguren sind Mia und Nina. Mia, die ihren Namen geändert hat, lebt ein Leben in der Mittelmäßigkeit. Ihre Wohnung, die Einrichtung, ihre Stellung im Museum, alles möglichst unauffällig. Die Gründe hierfür werden teilweise der eigenen Fantasie überlassen. Nina führt mit ihrer Mutter ein unstetes Leben, bis sie auf eigenen Füßen stehen kann und landet schließlich an der Ostsee. Ein Blick mit Carl reicht aus, um zu wissen, dass sie zusammengehören. Als sich in den 30er Jahren die politischen Verhältnisse ändern, verlassen die beiden Deutschland und finden im Landesinneren von Schweden ein neues Zuhause, weit weg vom Meer. Die Sehnsucht danach bleibt und es entsteht in vielen Stunden der wunderbare, einmalige Teppich, der das Museum viele Jahre später erreicht.

Die beiden Frauen werden möglicherweise etwas oberflächlich beschrieben. Ich fand interessant, was nicht gesagt wurde, denn das lässt Raum für eigene Überlegungen. Eine interessante Figur, die am Rande auftritt, ist eine Freundin, mit der Mia Kontakt aufnimmt. Das wenige, was wir von ihr erfahren, wäre Stoff für einen eigenen Roman.

Auch die europäische Geschichte ist enthalten, in Andeutungen, in Nebensätzen. Das betrifft nicht nur das Fangverbot der Fischer, die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, sondern auch die Geschichten, die beim Knüpfen erzählt werden und die Reise, die Mia unternimmt. Und ein wenig Lokalkolorit gibt es auch.

Der Titel ist nicht zufällig an das bekannte Märchen angelehnt. Hier ist es Carl, der ungewollt Fischer wurde und der einen einzigen, großen Wunsch hat. Dieser wird schließlich auf eine andere Art erfüllt.

Karin Kalisa schreibt einen für mich gut lesbaren Schreibstil. Lange, verschachtelte Sätze mag ich sehr. Der Roman hat einen anderen Verlauf genommen, als ich erwartet hatte. Mich interessiert die Geschichte dieser Fischerteppiche sehr. Sie kam mir ein wenig zu kurz. Die Geschichte von Carl und Nina hatte ich nicht erwartet, schon gar nicht, dass sie von Mia geschrieben werden würde. Der Teppich verändert Mias Leben komplett, eine ausgezeichnete Idee.

Ein kleines Glossar, eine Karte mit allen Orten, die im Roman eine kleinere oder größere Rolle spielen und ein Literaturverzeichnis, auf das ich zurückgreifen werde, vervollkommnen den Roman.

Karin Kalisa, Jahrgang 1965, lebt in Berlin. Als Wissenschaftlerin und freie Autorin forscht sie in den Feldern asiatischer Sprachen, philosophischer Denkfiguren und ethnologischer Beschreibungen.

Der Umschlag mit den beiden Frauenköpfen im Profil, die in verschiedene Richtungen schauen und in den Farben des Meeres gehalten sind sowie der kleine Dreifisch auf der Rückseite passen perfekt zum Inhalt.

Fazit: ein bemerkenswerter Roman, den ich sehr gern gelesen habe.