Rezension

T. C. Boyle - Sprich mit mir

Sprich mit mir
von T.C. Boyle

Bewertet mit 4 Sternen

Als Aimee Sam zum ersten Mal sieht, ist sie sogleich fasziniert. In einer Rate Show tritt Professor Guy Schemerhorn auf und präsentiert einen Schimpansen, der mittels Gebärdensprache mit Menschen kommunizieren kann. Wie ein Kind wächst er auf und verhält sich ebenso trotzig bis liebenswert. Bei ihrer ersten Begegnung springt sofort der Funke über, Sam entscheidet darüber, wem er vertraut und Aimee ist eine der Auserwählten. Sie zieht auf die Farm und kümmert sich fortan um das Tier, das für sie immer mehr von seiner animalischen Seite verliert. Auch wenn sie es immer wusste, ist sie doch vor den Kopf gestoßen, als Guys Projektleiter das Tier zurückfordert und schließlich abtransportiert. Die Verbindung zwischen Sam und Aimee ist jedoch bereits so eng, dass die Studentin alles daransetzt, wieder bei ihm zu sein und sogar bereit ist, noch weiter zu gehen.

 

T.C. Boyle reißt in seinem neuen Roman gleich mehrere spannende Fragen auf: wie weit darf Forschung gehen und wie gehen wir mit Tieren für wissenschaftliche Erkenntnis um? Was unterscheidet Mensch und Tier bzw. wie ähnlich sind die beiden Spezies? Und natürlich wie im Falle Aimees: wann geht die Liebe zu einem Tier über unsere gesellschaftlich akzeptierte Grenze hinaus? Sam wird sehr vermenschlicht in der Geschichte, hin und wieder jedoch lässt Boyle das wilde Tier, das in ihm steckt raus und zeigt, welche Kraft und Gefährlichkeit er auch entwickeln kann, wenn er nur noch Instinkt-geleitet agiert.

 

Auch wenn Sam fraglos der Star der Handlung ist, sind es doch die menschlichen Figuren, die die Brüche und Spannungsfelder aufzeigen, innerhalb derer sich die Geschichte abspielt. Die schüchterne Aimee, der es leichter fällt Zuneigung zu einem Schimpansen zu entwickeln als zu ihren Mitmenschen, die über die notwendige Sensibilität verfügt, die feinen Schwingungen Sams zu empfangen und ihm gleichermaßen Vertrauen zu vermitteln. Ihre nicht alltägliche Liebe lässt sie zur Kämpferin werden, die die Grenze zwischen Mensch und Tier infrage stellt. Guy Schemerhorn hingegen erscheint zunächst ganz der Forschung verschrieben, doch bald schon zeigt sich, dass er sich selbst näher ist als der Erkenntnis oder den Wesen, die im Zentrum seiner Wissenschaft stehen. Der notwendig nächste Schritt auf der Skala wird von dem rücksichtslosen Professor Moncrief personifiziert. Forschung, um an Reichtum und Ansehen zu kommen, als Gelegenheit zum Profit unter Ignoranz aller ethisch-moralischen ebenso wie erkenntnisorientierten Fragen.

 

Mal unterhaltsam, mal spannend bietet der Roman auch auf emotionaler Ebene viele Facetten und lädt vor allem zum Nachdenken und Diskutieren ein. Da sich die menschlichen Figuren bisweilen mindestens ebenso primitiv Instinkt-geleitet verhalten wie der Schimpanse, muss am Ende die Frage offen bleiben, wer hier das zivilisierte und wer das wilde Wesen ist.