Rezension

Scherbenmädchen

Scherbenmädchen - Liz Coley

Scherbenmädchen
von Liz Coley

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mit „Scherbenmädchen“ hat Liz Coley ein gelungenes Werk verfasst, welches sich nur schwer in ein Genre einordnen lässt. Es ist eine Art dramatisches Jugendbuch, welches aber bestimmt ohne Abstriche auch von Erwachsenen als spannend empfunden wird.

 

Inhaltsangabe (Quellenangabe: Lübbe):

Angie ist dreizehn Jahre alt, als sie entführt wird. Erst drei Jahre später taucht sie wieder auf. Doch sie kann sich an nichts erinnern. Auch nicht daran, woher die Narben an ihren Fußgelenken stammen. Kleine Frau, Pfadfinderin und Engel könnten ihr helfen, die Vergangenheit Stück für Stück wieder zusammenzusetzen. Denn jede von ihnen trägt einen kleinen Teil von Angies dunklem Geheimnis in sich. Doch sie wissen, dass Angie das gesamte Ausmaß des Erlebten nicht ertragen kann. Sie würde zerbrechen...

 

Zuerst möchte ich das Cover und auch das Titelbild loben. Beides passt sehr gut zum Inhalt des Buches. Das Mädchen auf dem Buchcover verdeutlicht sehr gut, wie zersplittert sich der Hauptcharakter Angie in dem Buch fühlen muss – wie sie selber ihre Vergangenheit und ihre Persönlichkeit Stück für Stück – wie ein Puzzle – zusammensetzen muss.

Das Buch ist verschiedene Kapitel eingeteilt. Die Überschriften Du, Wir und Ich sind wirklich treffend in Bezug auf den Inhalt und somit den Zustand von Angie gewählt.

Der Schreibstil ist sehr angenehm, sodass sich das gesamte Buch sehr flüssig lesen lässt. Außerdem ist es inhaltlich durchweg spannend, die Folge ist, dass man das Buch nur ungern wieder aus der Hand legen möchte. Kleine Zwischenfälle und unverhoffte Wendungen bauen einen Spannungsbogen auf, die gut mit der eigentlichen Handlung harmonisieren. Angie ist ein wirklich starker Charakter, wie sie sich mit der Situation auseinandersetzt und versucht, diese zu bewältigen. Man leidet mit ihr mit und kann sehr gut nachvollziehen, dass sie sich erst mal an ihren eigenen Körper gewöhnen muss. Auch wie man mit so einer Situation umgeht, ist nicht einfach. Coley schafft es dabei, ein so brisantes Thema einfühlsam und  mit gelungenen Eindrücken zu beschreiben. Zusammen mit Angie erfährt man nach und nach, was eigentlich passiert ist und fühlt sich schockiert, ist von der Situation überwältigt. Innerhalb des Buches muss Angie lernen, den Alltag zu bewältigen. Z.B. muss sie zwischen wahren und falschen Freunden unterscheiden, welche vielleicht nur sie und ihre Situation ausnutzen wollen. Auch diesen Aspekt, welche Folgen es für Angie haben, fand ich sehr interessant und ansprechend beschrieben. In „Scherbenmädchen“ wird auch das Thema der dissoziativen Identitätsstörung, kurz DIS, thematisiert. Dieser Begriff ist im Allgemeinen eher unter multipler Persönlichkeitsstörung bekannt. Angie leidet unter dieser Störung, in Folge von schweren psychischen Belastungen. Zusammen mit einer Therapeutin Dr. Grant versucht sie, die Situation zu verstehen und mit ihr umzugehen. Auch arbeiten sie an einer Integration der Persönlichkeiten. Diese verschiedenen Teilpersönlichkeiten sind allesamt sehr interessant dargestellt. Sie mussten unterschiedliche Aufgaben erledigen und haben daher auch verschiedene Geschichten zu erzählen. Die Ideen, wie die Persönlichkeiten mit Angie kommunizieren fand ich sehr interessant. Innerhalb des Buches wird ein experimentelles medizinisches Verfahren angesprochen, welches diese Teilpersönlichkeiten löschen soll. Im Nachwort geht Liz Coley nochmal auf diese Methode ein. Über die ethischen Bedenklichkeiten eines solchen Verfahrens könnte man lange nachdenken oder debattieren.

Auch ihre Eltern müssen mit dieser schweren Situation fertig werden und gehen dabei unterschiedliche Wege. Die Mutter steht Angie eher zu Seite und hilft ihr mit Rat und Tat, soweit sie kann. Der Vater wirkt eher distanzierter – er scheint sich etwas von seiner Tochter abzukapseln. Ihn scheinen Schuldgefühle zu plagen, weil er seine Tochter nicht vor diesem schlimmen Schicksal bewahren konnte. Auch fragt man sich, wie man sich selber in so einer Situation verhalten würde. Allgemein wirft das Buch einige Fragen auf, wie man sich in so einer Situation verhalten würde oder welche Maßnahmen die besseren wären. Es gefällt mir, dass das Buch zum Nachdenken anregt.

Leider empfand ich das Ende etwas unstimmig und auch zu rasch – mir persönlich war es einfach etwas zu viel. Näher möchte ich aber auf Grund von Spoilern nicht darauf eingehen. Und bis auf ein paar kleine Ungereimtheiten und großen Zufällen hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen.

 

Mit „Das Scherbenmädchen“ hat Liz Coley ein wirklich bewegendes Buch zum Nachdenken geschrieben, das mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird. Auf Grund von ein paar Kleinigkeiten gebe ich dem Buch 4,5 Sterne.