Rezension

Eine zersplitterte Seele

Scherbenmädchen - Liz Coley

Scherbenmädchen
von Liz Coley

Angie erinnert sich noch daran, am frühen Morgen in den Wald gegangen zu sein. Ihre Freundinnen schliefen alle noch in ihren Zelten, aber sie musste mal und konnte es ncht länger halten. Im Wald, mit heruntergelassener Hose, begegnete sie einem Mann. Das letzte, an das sie sich erinnern konnte, war eine Stimme, die schrie: "Schnell. Versteck dich!" Dann ist sie plötzlich wieder in ihrer Straße, 30 Meilen vom Zeltplatz entfernt. Alles tut ihr weh und irgendwie fühlt sie sich komisch.

Zuhause können ihre Eltern nicht glauben, was sie sehen. Und Angie kann nicht glauben, was sie hört. Drei Jahre lang wurde sie vermisst. Drei Jahre, an die sie sich nicht erinnern kann. Nur die unzähligen Narben auf ihrem Körper zeugen davon, was sie durchlebt haben muss. Angie wird zu einer Therapeutin geschickt, die ihre engste Vertraute wird. Gemeinsam stellen sie fest, dass in Angies Körper mehr als nur eine Person lebt: sie hat eine dissoziative Störung. Kleine Frau, Pfadfindern, Engel, Torwächterin, sie alle haben die schrecklichen drei Jahre untereinander aufgeteilt, um Angie vor dem Trauma zu bewahren. Ist es wirklich ratsam, in ihren Erinnerungen zu stochern und all den Strecken an die Oberfläche zu befördern?

Scherbenmädchen ist schwer einzuordnen und jetzt, im Nachhinein, kann ich kaum noch sagen, warum es mich so mitgerissen hat. Inhaltlich klingt es wie ein Psychothriller á la Sebastian Fitzek, aber das ist es nicht. Zum Teil ist es ein Thriller/Krimi, in dem es darum geht, herauszufinden, was Angie passiert ist und wer ihr das angetan hat. Immer, wenn man denkt, das schreckliche Geheimnis erfahren zu haben, bahnt sich ein weiteres an und mit ihm eine weitere Teilpersönlichkeit. Zu einem viel größeren Teil geht es aber um Angie selbst und ihre Teilpersönlichkeiten. Darum, dass sie um die Herrschaft des Körpers kämpfen und lernen müssen, miteinander zu kommunizieren. Darum, dass Angie die volle Kontrolle zurückerlangen möchte. Um schwerwiegende Entscheidungen, um Traumabewältigung, darum, sich selbst zu finden.

Scherbenmädchen ist ein ganz besonderer Roman, der gleichzeitig spannend wie auch emotional ist, der unterhält und nachdenklich macht, der irgendwie anders ist und gerade dadurch begeistert.