Polarisierend, faszinierend - Ein Buch das Eindruck hinterlässt
Ich bin, glaube ich, noch nie von einem Buch so hin- und hergerissen gewesen, wie von "Scherbenmädchen". Auf der einen Seite ein Pageturner sondergleichen, ein Thema, das dermaßen packt, dass auch gerne mal der Fernseher öfter aus geblieben ist um zu lesen. Auf der anderen Seite eine Story, die unglaublich polarisiert, bei der ich mich frage, ob ich dieses Buch wirklich guten Gewissens einem Teenager in die Hand geben würde.
Als Angie verschwindet, ist sie 13. Als sie wieder auftaucht ist sie 16, was ihr selber aber nicht bewusst ist, denn die Zeit ihrer Abwesenheit ist für sie nicht existent. Man hört das immer mal wieder - wenn einem Menschen etwas schlimmes passiert, ist die menschliche Psyche in der Lage, diese Erlebnisse auszublenden, eine unglaublich faszinierende Schutzmaßnahme unseres Geistes. So scheint es auch bei Angie zu sein. Sie hat Narben an Hand- und Fußgelenken, die darauf schließen lassen, dass sie regelmäßig gefesselt wurde und Untersuchungen ergeben das Schlimmste, doch von alldem weiß Angie nichts, kann nicht sagen, was geschehen ist. In einer Therapie versucht Angie nun aufzuarbeiten bzw. herauszufinden, was in den letzten 3 Jahren passiert ist.
Womit ich jetzt nicht zu viel verrate ist, dass Angie an einer dissoziativen Störung leidet. Sie hat so viel schlimmes erlebt, dass ihr Geist nicht nur mit einem Blackout reagiert hat, sondern damit, dass er verschiedenste Persönlichkeiten erschaffen hat, die die unterschiedlichen Situationen, mit denen Angie umgehen musste, erlebt und gemanagt haben. Diese Persönlichkeiten treten Stück für Stück mit Angie in Kontakt und teilen ihr mit, was sie alle - und somit im Endeffekt Angie - erlebt haben. Immer mehr grausame Tatsachen treten ans Licht und Angie droht wieder und wieder unter dem Erlebten und der Tatsache ihrer Persönlichkeitsspaltung zu zerbrechen. Ein steiniger und anstrengender Weg liegt vor dem jungen Mädchen, den sie allerdings mit einer Courage begeht, die seinesgleichen sucht. Einen Moment gab es, in dem ich dachte, okay, das ist jetzt ein wenig zu erwachsen, zu literarisch, zu viel, aber dieser Moment ging vorüber und das Buch hat mich unglaublich nachdenklich und bewegt zurückgelassen.
Ich kann dieses Buch definitiv empfehlen! Thematisch ist es eine Wucht, sprachlich top und es hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Die Frage, ob 14 oder 15jährige Teenager allerdings die richtige Zielgruppe sind, stellt sich ich mir nach wie vor.