Rezension

Willkommen in Bracken

Über Menschen
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

Berlin/Kreuzberg 1. Corona Lockdown im Frühjahr 2020
Die 36-jährige Werbetexterin Dora braucht dringend Abstand von ihrem extrem Klimaschützer, selbsternannte Corona-Experten Freund und von durch Homeoffice zu eng gewordene gemeinsame Wohnung. Sie flüchtet mit ihrer Hündin, genannt auch Jochen der Rochen, nach brandenburgischem Bracken, in das altes Haus, das sie vor Monaten heimlich gekauft hat. In 283-Köpfigen Bracken angekommen, versucht sie mit einer stumpfer Sense und Spaten ein Gemüsebeet anzulegen, doch was sie hier erwartete, ist nicht nur der sandige, trockene Boden. Nebenan wohnt der kahlgeschorene Nachbar, der sich als „Ich bin hier der Dorfnazi“ vorstellt, gegenüber wohnt ein andauernd Witze erzählender Rassist und paar Häuser weiter einer linker Künstler mit seinem AFD Wähler Freund. Wo ist die Großstädterin Dora hier überhaupt gelandet?

Nach paar gelesenen Seiten, war ich total skeptisch auf die Geschichte, denn ich kann die Begriffe wie: Corona, Lockdown, Homeoffice/Schooling nicht mehr hören, geschweige den noch lesen! Doch was Juli Zeh hier auf dem Papier gebracht hat, ist es mehr als ein „Coronatagebuch“ Die Autorin greift auf hochaktuellen Themen ein. Von Fridays for Future-Demonstrationen, Coronaleugner, Rechtsradikalismus, Homosexualität, Brexit bis zur berühmt-berüchtigten Ex-Präsidenten ist alles dabei. Langeweile gibt es hier nicht. Doch ich muss ehrlich zugeben, mir ist die Story sehr eilig geschrieben vorgekommen, deshalb ist es mir stellenweise unglaubwürdig gewirkt, denn welche Mutter lässt freiwillig ihre Tochter bei dem Unterbeobachtungsstehenden Nazi-Gewaltiger? Welche Chirurg-Tochter kennt sich mit den Gehirnkrankheiten so gut aus, sodass sie die auf der Stelle prognostizieren kann?
Klischeehaft? Mag sein, man kann über die Story einiges diskutieren, doch gerade diese fast Banalität macht das Buch erst recht lesenswert.

Mit klarer Sprache, ungeschönt, mal humorvoll, mal nüchtern nimmt Juli Zeh ihre LeserIn in einem fiktiven Dorf mit und lässt die „Mauer“ auf ihrer Art und Weise erneuert fallen. Es ist ein hoffnungsvolle Geschichte, welche mich nachdenklich zurückgelassen hat.