Rezension

Es hat mich total mitgerissen

Sechs Millionen Kekse im Jahr - Jessica Thom

Sechs Millionen Kekse im Jahr
von Jessica Thom

Bewertet mit 5 Sternen

Tourette - woran denken Sie, wenn Sie dieses Wort hören? An Menschen, die wie wild und unkontrolliert um sich schlagen? An Menschen, die Schimpfwörter herausbrüllen?

Jessica ist so eine Person, sie hat das Tourette-Syndrom. Mit diesem Buch hat sie versucht, 1 Jahr lang alles Tics festzuhalten, die sie in diesem Zeitraum hatte. Tics, das sind die unkontrollierbaren Bewegungen, das Schlagen auf die Brust, das Schleudern des Kopfes, aber auch die akustischen Äußerungen, die sich zwischen die Worte schleichen.

In diesem Jahr waren es besonders viele "Kekse", ständig, bei jeder Gelegenheit. Selbst in der Hochzeitsrede an ihre Schwester. Einer ihrer Freunde, den sie Leftwing Idiot "betict" hat, hat mal für 1 Minute 16 "Kekse" mitgezählt, 16 KPM. Würde man das hochrechnen, käme man eben auf 6 Millionen Kekse im Jahr. Das schafft nicht einmal Krümmelmonster.

Aber dieses Buch ist auch entstanden, damit die Gesellschaft vielleicht ihre Reaktionen auf Betroffene überdenkt, dass die Personen, die zappelnd und hilflos auf dem Boden vor ihnen liegt, nicht unbedingt betrunken ist.

Um dem Leser das Ganze näher zu bringen, hat sie monatlich jede Menge Ereignisse festgehalten. Das sind ganz unterschiedliche Situationen, mal im Bus, mal in der Apotheke,  zu hause oder an ihrem Arbeitsplatz. Diese Erlebnisse können vokaler und motorischer Natur sein.

Sie sind häufig lustig, und Jessica schreibt selbst, dass es sie erfreut, wenn sie beim Lesen zur Belustigung beitragen kann.

Aber genauso gibt es Situationen, bei denen nicht nur ihr der Hut hochgeht, weil Mitmenschen nicht sonderlich verständnisvoll reagieren, obwohl sie versucht, die Situation zu erklären. Es gibt Menschen, die ihr böswillige Absicht unterstellen oder meinen, sie sei besessen.

Jessica wäre es lieber, sie würden das Ganze dann einfach ignorieren.

Ich könnte noch stundenlang davon erzählen, denn es hat mich total mitgerissen, wenn Jessica berichtet, wie es ihr damit geht.

Ihre Diagnose wurde erst sehr spät gestellt, und sich einzugestehen, dass sie mehr Hilfe benötigt, als ihr lieb ist, das fiel ihr sehr schwer.

Aber dadurch, dass sie diese Art Tagebuch geführt hat, wurde ihr einiges so viel deutlicher, zum Beispiel, dass der eigens für sie angepasste Rollstuhl sehr hilfreich ist, weil er sie zwar einerseits körperlich einschränkt, ihr letztendlich aber viel mehr Freiheit gibt, die sie sich zu Fuß nicht mehr zutraut, weil sie häufig fällt und sich selten aus der Lage selbst befreien kann.

Unterm Strich

Vielen Dank für diesen sehr tiefen und schon recht intimen Einblick in ein Leben, das trotz aller Einschränkungen lebenswert ist, und das mit Hilfe toller Freunde so möglich ist, wie es ist. 5 Sterne für den Mut, sich so zu öffnen und meinen Respekt.