Rezension

Lebendiges Sachbuch

Sechs Millionen Kekse im Jahr - Jessica Thom

Sechs Millionen Kekse im Jahr
von Jessica Thom

Bewertet mit 5 Sternen

*** Klappentext ***
Jessica Thom hat das Tourette-Syndrom. Das bedeutet, dass sie Laute von sich gibt und Bewegungen macht, die sie nicht kontrollieren kann. Außerdem gehört sie zu den zehn Prozent der Tourette-Betroffenen, die unwillkürlich mit Schimpfwörtern und Obszönitäten herausplatzen.
Sie sagt aber auch oft „Keks“, nämlich 16 Mal pro Minute - das macht sechs Millionen Mal pro Jahr! Und dann sind da noch ihre mitunter lebensgefährlichen Arm- und Beintics.
Mit Tourette zu leben, kann sehr schwierig sein, nicht zuletzt deshalb, weil die Betroffenen oft auf Unverständnis und feindselige Reaktionen stoßen. Es kann aber auch inspirierend und ausgesprochen lustig sein. Jess gibt uns in ihrem Buch Einblick in ein Jahr ihres Lebens als Touretteshero - als Tourette-Superheldin - und beleuchtet darin das ganze Spektrum ihrer Erfahrungen. Wir lernen ihr großartiges Unterstützerteam kennen - Fat Sister, Leftwing Idiot und King Russell - und begegnen zahlreichen Fremden, deren unberechenbare Reaktionen ermutigend aber auch ungeheuer verletzend sein können.
Bewegend, amüsant, unverblümt, schockierend und inspirierend: Angesichts der Herausforderungen, die Jess bewältigen muss, ist ihr Bericht bewundernswert mutig und optimistisch. Willkommen in Keksland!

*** Meine Meinung ***
Eigentlich sind Sachbücher ja nicht so mein Ding, aber dieses Buch ist einfach der Hammer. In dem Buch beschreibt Jessica Thom ein Jahr lang, wie es sich mit Tourette lebt, was sie erlebt, wie ihre Freunde sie unterstützen und wie sie trotz der Einschränkungen, die Tourette für sie bedeutet, ihr Leben liebt und lebt. Man erfährt, wie sie lernt, dass Hilfe anfragen und annehmen kein Drama ist und sie nicht schwach da stehen lässt.
Auch lernt der Leser mehr über Tourette an sich und die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen, die verschiedenen Tics und mit welchen Möglichkeiten versucht wird diese zu behandeln - medikamentös und verhaltenstechnisch. Ich stelle es mir schon sehr anstrengend vor, wenn man 16 Mal in der Minute Keks sagt und sich dabei selber auf die Brust auf die Brust schlägt, aber die Tics enden nicht nach einer Stunden, nein, die Autorin lebt mit ihnen 24 Stunden am Tag - ja, soll heißen, auch nachts gibt es Tics und häufig wacht sie davon auf oder ist fast die ganze Nacht wach.
Doch all’ das wird dem Leser verständlich und ohne großes Fachchinesisch präsentiert und als Abschluss des Buches werden häufig gestellte Fragen beantwortet.
Jessica Thom schreibt offen und ungeschönt über ihr tägliches Leben und ihre Interaktionen mit Mitmenschen, die nicht immer freiwillig erfolgen, aber immer authentisch.
Zitat S. 151: „Als ich heute Morgen das Postamt betrat, rief ich laut „Hände hoch!“. Zum Glück kennen mit die Angestellten - mein Überfall endete also nicht damit, dass sie in Panik den Alarmknopf drückten.
Was mir sehr gut gefallen hat, dass es kein Selbstmitleid gab, klar wurden auch Erlebnisse beschrieben, die Thom traurig zurück ließen und die sie psychisch mitnahmen, doch viel häufiger präsentiert sie dem Leser ihre ironische Sichtweise der Dinge und kann über sich selbst und ihre Tics lachen. Auch ihre Freunde, die eine starke Stütze für sie sind, amüsieren sich über die Tics (NICHT über Jessica) und man merkt, wie respektvoll der Umgang miteinander ist.
Ich musste häufig grinsen und hatte auch mehrfach Tränen in den Augen - dieses Buch berührt in jeglicher Hinsicht.
Zitat S. 204: Ich weiß, dass meine Freunde und ich dank Tourette viel mehr lachen. Hoffentlich hat die Lektüre dieses Buches auch Ihren Lachdurchschnitt nach oben getrieben.
Da ich mit einem körperlich behinderten Oppa (Unterschenkel im Krieg verloren) aufgewachsen bin, habe ich eh nicht die Berührungsängste mit Behinderten wie viele andere Menschen und ich finde, das Buch zeigt, dass man durch Gespräche und offene Kommunikation viel mehr verstehen kann, als man glaubt.
Und ich finde, das Buch macht demütig, es geht den meisten von uns doch gut und es wird auf hohem Niveau gejammert und das meiste sind Luxus-Probleme.
Von mir bekommt das volle Punktzahl und ich bewundere Jessica Thom für ihren Mut und danke für ihre Offenheit.

Was mich allerdings immer noch interessiert: Welche Farbe haben die neuen Handschuhe?

Kommentare

evafl kommentierte am 26. April 2014 um 21:37

Das möchte ich auch unbedingt irgendwann mal lesen. :)