Rezension

Eine Hommage an Hannelore Marschall und die Augsburger Puppenkiste

Herzfaden - Thomas Hettche

Herzfaden
von Thomas Hettche

Bewertet mit 5 Sternen

ein wunderbarer Roman, ein absolutes Muss für alle Fans von Figurentheatern

Ein zwölfjähriges Mädchen gerät nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine verborgene Tür auf einen Dachboden, wo Prinzessin Li Si, der klappernde Tod, Kater Mikeschund ein sprechender Storch auf es warten. Vor allem aber trifft es jene Frau, die all diese Marionetten geschnitzt hat und nun ihre Geschichte erzählt. (Klappentext)

Der bekannte Autor Thomas Hettche, dessen Werke mehrfach auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises standen und der mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurde, legt mit „Herzfaden“ einen Roman über die Anfänge der Augsburger Puppenkiste vor.

Hettche lässt seinen Roman auf zwei Ebenen spielen. Die Rahmenhandlung erzählt die Geschichte der namenlosen Zwölfjährigen, die die verborgene Tür findet und ihre Erlebnisse auf dem Dachboden. Diese Teile werden in Anlehnung an Michael Ende farblich von der Erzählung der Puppenbauerin Hannelore Marschall, genannt Hatü, unterschieden. Hettche beginnt ihre Erzählung mit dem Ausbruch des II. Weltkrieges, dem Tag, an dem die Familie ihren Urlaub abbricht und zurück nach Augsburg fährt, weil ihr Vater, der Schauspieler Walter Öhmichen, eingezogen wird. Nach seiner Rückkehr Anfang der 40er Jahre baut er ein Puppentheater, den „Puppenschrein“, das während des Bombenangriffs auf Augsburg 1944 zerstört wird. Nach Ende des II. Weltkrieges beginnt er mit dem Aufbau eines neuen Marionettentheaters, eines, das transportabel sein sollte, eben der „Augsburger Puppenkiste“. Hatüs Erzählung endet mit den Aufzeichnungen zur vierteiligen Fernsehserie von Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, die Geschichte der Augsburger Puppenkiste ist damit aber noch lange nicht zu Ende.

Hannelore, Hatü, erzählt ihre Erinnerungen in kleinen Episoden. Dazu gehören Erinnerungen an die Schulzeit, an einen Lehrer, eine betagte Nachbarin genauso wie die Begegnungen mit Prominenten vor, während und nach dem Krieg.

Auch das Auseinanderleben mit ihrer einstmals besten Freundin Vroni, die während des Angriffs ihre Eltern verloren hat und die Dinge anders sieht als Hatü als junge Mutter. Viele Hinweise auf den Krieg, seine Schrecken und seine Folgen werden eingestreut, verstellen aber nicht den Blick auf das Wesentliche: die Marionetten und das Theater. Die Magie, die von ihnen und ihrem Spiel ausgeht, die Liebe dazu, wird durchgehend deutlich. Immer, wenn von Proben oder Aufführungen die Rede ist, entstehen die dazugehörigen Bilder wie von selbst. Jeder, der eine Aufführung eines Figurentheaters besucht, wird verstehen, was ich meine.

Entstanden ist ein Roman, der nicht nur eine Hommage an die leidenschaftliche Puppenbauerin Hannelore Marschall ist, sondern auch an Michael Ende, der mit Jim Knopf so viel mehr als nur eine fantastische Geschichte geschrieben hat.

Die Rahmenhandlung bleibt für mich etwas im Unklaren. Dient sie dazu, einige Figuren, an die sich jeder erinnert, der die Augsburger Puppenkiste kennt. Vermutlich eher, um den ominösen Kasper ins Spiel zu bringen, von dem Hatü sagt, dass er mit dem iPhone groß würde? Was es mit ihm auf sich hat, wird an dieser Stelle nicht verraten.

Zeichnungen von Matthias Beckmann nach Figuren der Augsburger Puppenkiste ergänzen das Buch, ebenso wie ein versteckter Buchtipp am Ende von Thomas Hettches kurzem Nachwort.

Fazit: ein wunderbarer Roman, ein absolutes Muss für alle Fans von Figurentheatern