Rezension

Ein lispelndes Urmel und eine rauchende Hatü

Herzfaden - Thomas Hettche

Herzfaden
von Thomas Hettche

Bewertet mit 3 Sternen

Wie habe ich mich doch gefreut, als ich erfuhr, dass es einen Roman über die Augsburger Puppenkiste geben sollte. Ich bin mit ihr aufgewachsen und während andere Bären, oder Barbies gesammelt haben, zogen bei mir die ersten Marionetten ein.
Und was für ein schönes Buch hielt ich dann in den Händen, in Leinen gebunden, mit Lesebändchen und Emma (die Lokomotive aus Jim Knopf) lacht mir nicht nur silbern auf dem Schutzumschlag entgegen, sondern prägt auch gülden den roten Buchdeckel. Überrascht hat mich dann der zweifarbige Druck des Textes in blau und rot.

Meine Erwartungen waren hoch und voller Enthusiasmus legte ich los. Doch was war das? Ein Mädchen flieht nach einer Puppenkistenvorstellung vor ihrem Vater eine Treppe hoch und findet sich auf dem Dachboden des historischen Heilig-Geist-Spitals wieder. Dort hängen all die Marionetten, die plötzlich lebendig werden und sich um dieses Mädchen, welches übrigens bis zum Schluss namenlos bleibt, versammeln. In diese illustre Gesellschaft platzt dann Hatü, Hannelore Marschall (1931- 2003), Tochter des Mitgründers des berühmten Puppenthaeters Walter Oehmichen und die Geschichte wechselt von rot zu blau, zu Hatüs Leben, ihrer Kindheit und Jugend, dem Krieg, vom Verschwinden der jüdischen Mitbewohner, von der Zerstörung Augsburgs durch die Brandbomben, vom Wiederaufbau und von ihrer Arbeit mit den Marionetten.

Die vielen süßen Bleistiftzeichnungen von Szenen und Puppen aus dem Theater täuschen nicht darüber hinweg, dass die ziemlich abstruse Rahmenhandlung auf dem Dachboden mit einem bösen Kasper und der sehr stringend erzählten Biografie Hatüs, sich zusammenfügen, wie ein eckiger Klotz im runden Loch. Die Geschichte der Augsburger Puppenkiste ist gespickt mit Daten und endlos vielen Namen von Mitspielern, Helfern, Kritikern und Gönnern. Hatüs Seelenleben aber bleibt mit zunehmendem Alter auf ein emotionsloses Beziehungskistengeplänkel beschränkt. Der Seitensprung ihres Vaters bleibt ein abgehakter Punkt auf der Faktenliste. Es gibt vereinzelte Szenen, die ein wenig mehr Potential für eine eindringliche Story gehabt hätten, werden aber nicht weiter verfolgt und wirken verloren.

Was sich derweil auf dem Dachboden abspielte, blieb mir leider ein Rätsel, gleichsam verschwommen im unerwähnten Zigarettennebel, den es aber zweilfellos gegeben haben musste, weil Hatü eine Fluppe nach der anderen rauchte. Das Geheimnis des Kaspers schließlich, spiegelt die tiefe Scham Hatüs wieder (worüber, werde ich an dieser Stelle nicht verraten), verpufft aber in einer sinnlosen Verfolgungsjagd nach einem Smartphone.

Das ganze Buch mutet eher nach einer eiligen Auftragsarbeit an, die keiner Seite, weder den Puppen, noch dem Mädchen, geschweige denn Hatü gerecht wird. Ein wenig konnte ich mit den Gedanken abschweifen und an meine Stunden mit der Puppenkiste denken, dazu war mir der Roman eine Stütze und die Zeichnungen eine Freude, aber der Gesamteindruck hat mich dann doch eher enttäuscht. Der Herzfaden, der die Marionetten lebendig werden lässt, diesen Herzfaden vermisse ich im Roman. Schade!