Rezension

Ein Höllenritt

Trophäe -

Trophäe
von Gaea Schoeters

Bewertet mit 4 Sternen

Hunter White hat eine sechsstellige Summe für den Abschuss einer geschützten Spezies ausgegeben – seine letzte Trophäe, um die „Big Five“ vollzumachen. Als die Jagd durch die Intervention von Wilderern missglückt, hat sein Guide einen Vorschlag: Wie wäre es mit den „Big Six“? Der Investmentbanker und Trophäenjäger steht, der Name verrät es, für die lange Reihe der Großen Jäger – „Größe“ erlangten sie durch die Zahl ihrer Abschüsse und ihre Rolle bei der Ausrottung von Arten.

Hunter ist als durchaus komplexer Charakter angelegt; man tut sich anfangs schwer, ihn zu verabscheuen. Er ist von Jugend an mit der Jagd sozialisiert worden und hat sich ein eigenes Wertesystem konstruiert, das auf den ersten Blick überzeugend wirkt, jedenfalls solange man seine Parameter akzeptiert. Deren Basis ist die absolute Akzeptanz des Jetztzustands. So ist Afrika! Wie es so geworden ist, spielt keine Rolle. Hunter interessiert sich nicht für Geschichte.

Es ist schon perfide, wie überzeugend Schoeters die Argumente der Lobby für Jagdlizenzen reproduziert. Ihr Stil ist sachlich, ihr Auge eine Kamera, die dokumentiert, aber nicht wertet.  Man muss sich selbst entscheiden, ob man Hunter auf den Leim gehen will, und das ist erstaunlich schwierig. Schoeters zieht uns in eine ebenso abgründige wie exotische Realität; schaudernd folgt man ihr auf ihrem Abstieg in die ethischen Niederungen ihres Protagonisten.

Wenn man sich auf Schoeters Roman einlässt, weiß man von vornherein, dass drastische Szenen thematisch unvermeidlich sind. Insofern hatte ich mit den blutigen, brutalen Details auch kein Problem. Was ich nicht erwartet habe, war eine gewisse Abstumpfung oder vielleicht Ermüdung. Vor allem interessierte mich nach einiger Zeit der Protagonist nicht mehr, dessen Psychologie kontinuierlich durch Flashs in die Vergangenheit vertieft wird. Dass bei der Jagd Machtgefühle eine große Rolle spielen, ist keine bahnbrechende Erkenntnis, die haben auch unsere heimischen Jäger und bemänteln sie mit viel Ritual. Hunter ist als Großwildjäger lediglich die XXL-Variante; da interessiert es mich nicht, wer in seiner Familie seinen Charakter versaut hat, excuse my French.

Hat man die Brüchigkeit von Hunters Rechtfertigungskonstrukt durchschaut, verliert der Roman an Momentum, denn seine Argumente wiederholen sich notgedrungen und nehmen in jedem Kapitel viel Raum ein. Ähnlich ging es mir mit dem Thema der Jagd. Jeder der fünf Teile des Romans schildert eine; Schoeters macht das sehr kenntnisreich, sinnlich und überzeugend, und zunächst ist das ungemein fesselnd. Die Jagden und ihr Umfeld dienen als grelle Folie für so ziemlich jede Ausbeutung, die Afrika durch den Westen bisher erleiden musste; aus meiner Sicht bekam es an der Stelle Längen und lenkte vom eigentlichen Thema des Romans ab.

Dennoch hatte die Lektüre Sog, vor allem, nachdem wir nähere Bekanntschaft mit dem benachbarten Dorf indigener Jäger gemacht haben. Dem Stamm kommt eine Schlüsselrolle zu; bald wird klar, auf welche Beute Hunter am Ende Jagd machen wird, und man möchte erfahren, ob das Unsägliche wirklich geschehen wird. Wird er es tun? Werden die Afrikaner es zulassen? Was ist der Wert eines Menschenlebens? Schoeters zeigt uns, wie das kapitalistische Denken des Westens auch die afrikanische Wirklichkeit durchdringt. Das Leben der Afrikaner war immer schon hart; heute ist es der Raubtierkapitalismus der Weißen, der ihr Überleben bedroht.

Als Hauptthema jedoch sehe ich den biblischen Glauben an den Menschen als „Krone der Schöpfung“, der bis heute Bestand hat. Immer noch halten wir es für selbstverständlich, dass ein Menschenleben wertvoller ist als ein Tierleben. Indem Schoeters ihren Großwildjäger das letzte Tabu durchbrechen lässt, entlarvt sie die animalische Natur des Menschen und verwischt gleichzeitig die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Je göttlicher der Mensch sich vorkommt, desto unmenschlicher ist sein Verhalten.

Sensible Leser:innen kann das an ihre Grenze bringen, der permanente Aufenthalt in Hunters Kopf fordert seinen Tribut. Auch ich war bei der Lektüre so ambivalent wie selten. „Trophäe“ ist kein schönes Buch, hat aber viel Denkstoff zu bieten.