Rezension

Zeitreise an der Grenze zur kitschigen Schnulze

Hourglass, Die Stunde der Zeitreisenden - Myra McEntire

Hourglass, Die Stunde der Zeitreisenden
von Myra McEntire

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Hourglass" von Myra McEntire ist ein Zeitreiseroman, erschienen im Goldmann-Verlag, der mich teilweise fesseln konnte, mich aber an anderer Stelle sehr enttäuschte. Mehr dazu später, jetzt erstmal zum Inhalt:

Emerson Cole ist 17 Jahre alt und lebt seit dem Tod ihrer Eltern bei ihrem deutlich älteren Bruder Thomas. Sie war lange in verschiedenen Therapien, denn seit einigen Jahren sieht Emerson Menschen aus vergangenen Zeiten, die verschwinden, sobaold sie sie berührt. Ihr verzweifelter Bruder ist ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um Emerson zu helfen, und dieses Mal scheint der Experte, den er für Emerson angeheuert hat, vielversprechend zu sein. Der junge Michael von der geheimnisvollen Organisation Hourglass versteht Emersons Welt und erklärt ihr, dass sie nicht verrückt ist, sondern eine Zeitreisende, die bei Hourglass, einer Art Schule für übernatürlich begabte Jugendliche, Hilfe finden kann. Doch seit einigen Monaten ist Hourglass nicht mehr das, was es einmal war...

Am Anfang hat mir das Buch sehr gut gefallen. Die junge Ich-Erzählerin Emerson wird sehr glaubhaft geschildert. Sie ist ein vielschichtiger Charakter, der immer wieder für Abwechslung sorgt und mich überzeugen konnte. Zu Beginn der Geschichte geht es hauptsächlich um Emersons Schwierigkeiten mit ihrem vermeintlichen "Verrücktsein", wenn sie Menschen sieht, die niemand sonst entdecken kann und die verschwinden, wenn sie sie berührt. Gleichzeitig versucht sie ihren Platz im Leben ihres Bruders zu finden, der, viel älter als sie, schon erfolgreich im Beruf und mitten bei der Familienplanung ist. Auch Emersons Bruder Thomas gehörte für mich zu einem der besseren, überzeugenderen Charakteren des Romans.

Andere Charaktere, zum Beispiel der Hourglass-Experte Michael, dagegen konnten mich nicht sonderlich für sich einnehmen. Sie wirkten oberflächlich, vor allem, da "Hourglass" mal wieder eines der amerikanischen Bücher ist, in denen einfach alle perfekt aussehen. Eine Schönheit gesellt sich zu der nächsten, besonders die männlichen Wesen von Interesse für Emerson sind anscheinend einer wie der andere Wiedergeburten von Adonis höchstpersönlich. Gut aussehend und attraktiv. Darauf beschränkte sich für mich auch schon die Liebesgeschichte des Romans, auf Oberflächlichkeiten, und nahm mit all ihrem Schmalz und Kitsch auch noch einen viel zu großen Teil der Handlung ein.

Michael und Emerson verbinden die Zeitreisen, das wars. Trotzdem fühlen sie sich stark zueinander hingezogen - "Liebe auf den ersten Blick" verkitscht bis ins Unerträgliche - und dürfen aber natürlich nichts miteinander haben. Das Konzept einer solchen verbotenen, aber unendlich starken Liebe ist gerade in Jugendromanen alt wie das Genre selbst, aber bei "Hourglass" hat es für mich so wenig funktioniert wie selten. In einer Nebenfigur, Kaleb, findet Emerson einen Menschen, der sie nicht nur äußerlich anspricht, sondern auch charakterlich ihr Gegenstück zu sein scheint, denn die beiden verbindet sehr viel, sie führen sehr persönliche Gespräche - kein Vergleich zu der Oberflächlichkeit zwischen ihr und Michael, wo es eigentlich nur darum geht, wie schön sein Lippen sind - und trotzdem soll es Michael sein, den Emerson unendlich liebt. Diese Dreiecks- (genaugenommen mit einer anderen Nebenfigur auch noch Vierecks-)Geschichte schien mir nicht sehr gut durchdacht. Und wo andere Jugendromane das "Verbotene" an der Liebe wenigstens mit Gefahren-, gar Todes- oder Weltuntergangsszenarien ein bisschen spannender machen, gibt es hier, außer einem "Nein" vom großen Bruder Thomas, nichts, was diese Zerrissenheit der beiden glaubhaft erklären könnte. Es wirkte auf mich einfach sehr schnulzig, kitschig und zu konstruiert, leider nichts, was mich romantisch ansprechen oder berühren konnte.

Die eigentliche Zeitreisehandlung fand ich gut umgesetzt, überraschend, spannend und stimmig erklärt. Leider kommt sie durch die weniger gelungene Liebesgeschichte, die sich aber in diesem Buch sehr stark in den Vordergrund drängelt, etwas zu kurz. Das war schade, denn in diesem, etwas an "X-Men" erinnernden Konzept einer Schule für übernatürlich Begabte in Zeitreise-Dingen (anstelle der Nachwuchs-Mutanten in X-Men) und der Rettung von, im übertragenen Sinne, Charles "X" Xavier, liegt die eigentliche Stärke des Romans. Wäre die Liebesgeschichte nicht so unglaubwürdig und der Kitsch nicht zu sehr überreizt gewesen, hätte mich dieser Roman tatsächlich vollständig überzeugen können.

Der Schreibstil der Autorin ist gut, aber nicht besonders auffällig. Das Buch liest sich einfach und flüssig, die Handlung ist auch interessant und spannend genug, um den Leser - zumindest meistens - an das Buch zu fesseln. Gestalterisch ist "Hourglass" sehr schön, besonders das Cover, aber im Zusammenhang mit der Handlung eine Enttäuschung, denn für mich ist es störend, wenn sich herausstellt, dass das Cover nicht nur rein gar nichts mit dem Inhalt zu tun hat - was ja nicht selten vorkommt - sondern ihm auch noch widerspricht. Ich konnte mir Emerson nur schwer vorstellen, wenn sie als Blondine beschrieben wird, während auf dem Cover eine Brünette zu sehen ist. Das englische Cover von Hourglass finde ich da deutlich passender, nicht nur durch die blonde Haarfarbe sondern auch durch seinen Sinn für das Abstrakte, der übernatürliche Fähigkeiten viel besser widerspiegelt als fliegende Schmetterlinge.

Fazit: Ein Zeitreiseroman mit zu wenig Zeitreise und zu viel Liebeskitsch. Gut geschrieben und zumindest dann, wenn die Zeitreise im Mittelpunkt steht, gut durchdacht. Besonders die Ich-Erzählerin fand ich überzeugend, während mir andere Charaktere zu makellos erschienen. Ich schwanke zwischen 3 und 4 Sternen, gebe aber, weil ich das Buch doch gerne und flüssig gelesen habe, 4 Sterne und eine eingeschränkte Leseempfehlung an Leserinnen, die sich von schnulzigen Liebesgeschichten nicht abschrecken lassen.