Rezension

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Wie viel von mir selbst bin ich für jemand anderen?

Unser wirkliches Leben -

Unser wirkliches Leben
von Imogen Crimp

Bewertet mit 4 Sternen

 

Diese Frage sollte sich vermutlich jeder Mensch stellen, so auch die junge Frau Anna die den älteren Max kennenlernt und durch ihn/ wegen ihm/ dank ihm ihr Leben überdenkt und umkrempelt. Sie scheint diese Frage allerdings nicht zu sehen, denn sie verfällt immer weiter seinem Einfluss, sowie dem ihrer besten Freundin und den Ansprüchen, die die Universität an sie stellt, bis von ihrem eigenen Selbst nicht mehr viel übrig ist und sie psychisch zusammenbricht. 
Es kündigt sich recht schnell an, dass sie sich für ihn verstellt, ihm gefallen möchte, für ihn all ihre Prioritäten anders setzt und selbst ihre beste Freundin sie nicht davon abhalten kann. Unweigerlich geht also ihre Karriere, die grade frisch aufflammt, den Bach runter. Ihre Freundschaft kriselt.
Man möchte Max zweitweise dafür verantwortlich machen aber objektiv gesehen ist er von Beginn an ehrlich, macht keine falschen Versprechungen sondern unterstützt sie sogar finanziell was ihr sehr viel ermöglicht. 
Auch die Beziehung zu Laurie ist schwierig, sie denkt sehr viel an sich und ist in ihren eigenen Problemen gefangen was sie teils zu einer unsensiblen, egoistischen Person macht, die Anna eventuell gar nicht gut tut.
So ist ihre Gesangslehrerin Angela die einzige Figur im Buch, die Anna unterstützt wo sie nur kann und keine negativen Charakterzüge zu Tage bringt... Ein Mensch, wie es ihn im wirklichen Leben nur selten gibt. Da sind Max und Laurie mit ihren Ecken und Kanten wesentlich näher an der Wirklichkeit (so gerne man sie manchmal auch hauen würde).

Durch die Erzählweise erlebt man die ganze Zeit ausschließlich aus Annas Perspektive, und je mehr sie psychisch leidet, desto weniger kann man sich als Leser:in sicher sein, dass alles real ist und verliert ein wenig das Vertrauen in die Wahrnehmung der Protagonistin.
Vor allem diese Tatsache hat mir sehr gut gefallen - durchweg bis zum Schluss wird dadurch eine Spannung erzeugt.
Außerdem konnte ich mich durch die Echtheit der Charaktere gut in sämtliche Situationen hinein versetzen. Wer kennt es nicht, sich für jemand anderen zu verstellen, ihm verzweifelt gefallen zu wollen, dabei jedes Mal ein Stück von sich selbst zu verlieren - und die einzige Person, die das von einem fordert, ist man selbst... Im Falle von Anna schafft sie es nicht einen Schlussstrich zu ziehen sondern gleitet völlig weg, wobei sie fast ihre Karriere und Lebensgrundlage verliert. 

Auch das Ende hat mich überzeugt und zugegebenermaßen gefreut. Das Max, dem man die ganze Zeit dank der Erzählperspektive nicht vertrauen kann oder ihm sogar für alles die Schuld gibt, dann anscheinend gar kein falsches Spiel gespielt hat und selbst ein "Opfer" der sozialen Gefüge und der Kommunikation war und sie letztendlich einen kleinen Neuanfang erleben. Der hoffentlich beiden gut tut.

Alles in allem fand ich es sehr angenehm zu lesen und habe ich mich in vielem wiedergefunden.
Der Titel trifft es in meinen Augen auf den Punkt: Menschen sind zuvorkommend, witzig, naiv oder misstrauisch, egoistisch, selbstsicher und hilflos, in ihren eigenen Ansichten gefangen, können vergeben, zerstören und wieder aufbauen. Es kommt darauf an, mit wem man sich umgibt, wie & ob Kommunikation stattfindet und, dass man jederzeit bei sich selbst bleibt.