Rezension

Ungewöhnlich und raffiniert

Neringa - Stefan Moster

Neringa
von Stefan Moster

Bewertet mit 4 Sternen

Dies Buch wird aus Sicht eines namenlosen Protagonisten erzählt. Nur einmal wird erwähnt, er trüge den gleichen Namen wie ein gesteinigter Märtyrer, heißt er also  Stefan ? Das gesteinigte passt auch zu dieser Geschichte, denn steinige Wege, ein steiniger Beruf und eine steinige Zeit ziehen sich durch die Erzählung.

Aber wieder zum Anfang. Als der 50jähirge Protagonist, der aus Mainz stammt, aber beruflich in London lebt, eines Tages spontan in eine Kinovorstellung geht, sieht er in einer Szene am Mont-Saint-Michel, die in ihm eine Gedanken- und Erinnerungsflut auslöst.

Die Erzählung springt - genau wie seine Gedanken- zwischen seiner einesamen Jetzt-Zeit, seinen Erinnerungen an seinen Großvater Jakob (der jahrelang als Pflasterer gearbeitet hat), aber auch an seine eigene Kindheit und Jugend hin und her.
Man muss manchmal sehr genau lesen, in welcher Zeit man sich gerade befindet.

Unser Protagonist fängt in London auch an seine Umwelt genauer zu betrachten. Allen voran seine Putzfrau, die jeden Dienstag seine Wohnung und seine Wäsche sauber macht. Bisher war er meist an der Arbeit, hat ihr nur das Geld auf den Tisch hinterlassen. Nun aber lernt er Neringa kennen und vor allem fängt er an sich Gedanken um und über sie zu machen.

Diese Geschichte, aus der ich-Perspektive erzählt, ist eine Abrechnung mit der Vergangenheit, eine Besinnung auf die familären Wurzeln, aber auch auf sich selbst.

Din Geschichte wurde sprachgewaltig erzählt.
 
"Die Formel lautete vielmehr: Wenn ich etwas wollte, verließ ich die Spähre der Demut und maßte mir an, was mir nicht zustand. Und wenn ich etwas wollte, was den Wünschen eines anderen widersprach, verursachte ich ein Problem. Dann war ich kein guter Mensch mehr und hasste mich deswegen". /Zitat, S. 69

Diese Einstellung, diese Unterdrückung von Wünschen, dieses sich nicht äußern können, staut Aggressionen bei ihm auf, führt ihn zum Therapeuten, lässt ihn bindungslos altern. Nun mit 50 macht er sich Gedanken über sich und seine Wurzeln.

Auch wenn man gerade in der Mitte des Buches ab und an ins Zweifeln gerät, weil man nicht weiß, wohin uns der Autor mit dieser Geschichte führen möchte, klärt es sich, wenn man am Ende angekommen ist, der Autor rundet das Bild ab und schließt den Kreis der Erzählung.

Es ist eine ruhig erzählte Geschichte, die trotz kleiner Längen überzeugend erzählt wurde .
Viele Fragen werden angesprochen, die man sich in der MItte des Lebens wohl alle so selber stellen kann. Ein Blick auf die Vergangenheit, war sie wirklich so glorreich? Hatten unsere Vorfahren ein besseres Leben ? Was ist heute wichtig ?Auf diese Spuren begibt sich der Protagonist, kramt seine Erinnerungen hervor und versucht mehr heraus zu finden. Doch auch die Fragen der Zukunft werden gestellt. Was bleibt von einem selbst ? Gerade dann, wenn man wie der Protagonist keine Kinder in die Welt gesetzt hat ? Wofür lebt man ? Für die teure Uhr am Handgelenk ? Für das finanzielle Polster, angelegt in Aktienpaketen ?
Was bedeutet Heimat ? Was bedeutet der Einzelne ? 
Es sind die Fragen nach den Spuren der Vergangenheit und den eigenen Spuren.

Man muss das Buch erst zu Ende lesen um feststellen und beurteilen zu können, auf welche (manchmal steinige) Wege uns der Autor mitgenommen hat. Es ist ihm jedenfalls gelungen diese Geschichte authentisch, präzisse und sprachlich gekonnt zu erzählen.