Rezension

Auf den Spuren der Familie

Neringa - Stefan Moster

Neringa
von Stefan Moster

Bewertet mit 4 Sternen

Der gerade 50 gewordene, in London lebende und im IT-Business erfolgreiche Erzähler (namenlos bleibend) sieht sich im Kino einen Film an. Eine Szene am Mont Saint-Michel erinnert ihn an seinen Großvater Jakob Flieder, der bei einer Familienfeier anlässlich einer dort kursierenden Postkarte mit eben diesem Motiv beiläufig erwähnt hat, im Zweiten Weltkrieg dort gewesen zu sein. Der Erzähler, der sich selbst gerade damit schwer tut, der Nachwelt nichts Sichtbares und vor allem keine Nachkommen zu hinterlassen, stellt Nachforschungen über die Biografie seines Großvaters an, der Pflastersteinsetzer in Mainz war. In dieser Situation verliebt er sich in seine litauische Putzfrau Neringa.

 

Dieser Roman ist recht anspruchsvoll und besticht gerade dadurch. Schon der Buchtitel klingt geheimnisvoll und ist es wert, sich näher mit ihm zu beschäftigen, weil dann der Hintergrund der Geschichte verständlicher wird. Neringa ist nicht bloß der Vorname der Putzfrau. Es ist auch der Name einer bei Klaipeda liegenden Gemeinde in Litauen, ihrer Heimat. Der Bedeutung nach ist es Land, das auf - und abtaucht wie ein Schwimmer und der Legende nach geht der Name auf eine Riesin zurück, die Sand aufgeschüttet hat. „Legende“ ist dann auch das Stichwort, dem in dem Roman eine große Bedeutung beikommt. Denn immer wieder schildert der Erzähler sehr detailliert Erlebnisse seines Großvaters, insbesondere im Zusammenhang mit seinem Beruf als Pflasterer (passend dazu das Cover mit dem gepflasterten Platz), die, wie sich dann herausstellt, nur seiner Fantasie entspringen, eben Legenden sind. Der Schlusssatz, von Neringa geäußert, erklärt die Neigung des Erzählers, bzgl. seiner Vorfahren zu fantasieren, sehr schön und ist zitierungswürdig: „Das Einzige, womit wir die Toten beschenken können, sind liebevolle Legenden“. Gefallen hat mir der Aufbau des Buches, das auf mehreren zeitlichen Ebenen angesiedelt ist - der Gegenwart in London und Orten, zu denen sich der Erzähler bei seiner Spurensuche begibt; den Zeitraum, als er junger Erwachsener und in Behandlung bei einem Psychoanalytiker war; Erlebnisse in der Vergangenheit seines Großvaters. Etwas schwer tue ich mich damit, dass einige Fragen offen bleiben, z.B. die Art der Erkrankung des Erzählers, der Hintergrund vage geschilderter früherer Treffen zwischen ihm und einem Pfarrer.

 

Alles in allem ein von mir sehr zu empfehlendes Buch.