Rezension

Lüge, Wahrheit und ganz viel dazwischen

Yellowface -

Yellowface
von Rebecca F. Kuang

Bewertet mit 5 Sternen

Durch ein unerwartetes Ereignis gerät June an das Manuskript zum geplanten neuen Roman der gefeierten Bestsellerautorin Athena und gibt die Geschichte als ihre eigene aus.

Das klingt erstmal simpel, tatsächlich ist das Buch jedoch sehr ungewöhnlich und komplex verwoben. Die Rahmenhandlung bildet June mit ihren Erfahrungen in der Buchbranche. June lässt die Leserschaft direkt an ihren Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen teilhaben. Es klingt so, als säße man zusammen und sie erzählt dabei ihre Geschichte. Immer wieder kommt es zu Rückblenden, die Junes Vergangenheit und familiäre Verhältnisse offenlegen und so ihr Verhalten und ihre Gefühlswelt in der Gegenwart ein Stück weit nachvollziehbarer werden lassen.
Was kommt nach der ersten Lüge und großen Täuschung? Wie macht man danach weiter ohne vor einem großen Scherbenhaufen zu stehen?

June ist keine Sympathieträgerin, keine Heldin. Sie zeigt, dass ein Mensch nie nur gut oder nur schlecht ist, sondern sehr facettenreich. Sie ist einerseits ehrgeizig, aufmerksam und engagiert, mit Liebe zum Detail und Aufopferung für ein Ziel. Andererseits ist sie gierig, egoistisch und berechnend. Nur die Leserschaft erhält Zugang zu ihren wahren Gedanken, Gefühlen und Plänen, während sich ihre Umwelt mit ihren Taten und Darstellungen zufrieden geben muss.

Thematisch werden sowohl die positiven Elemente als auch die Schattenseiten des Erfolgs sowie der Buchbranche im Allgemeinen ins Visier genommen. Unter anderem finden die Rolle der Medien, Konkurrenzkampf, Kommerz und der Kampf um Anerkennung ihren Platz in der Geschichte.

Das Buch ist mutig und direkt, indem es offen Kritik ausübt und dazu anregt, sich darüber Gedanken zu machen. Dabei bedient es sich auch der Satire. Es polarisiert nicht zuletzt durch regelmäßig auftretende gegenderte Begriffe. Wer das nicht mag, wird mit diesem Buch vermutlich nicht glücklich.

Ich habe bei der Geschichte mitgefiebert, war fasziniert von interessanten und für mich teils überraschenden Entwicklungen. Der Abschluss ist gelungen und zeigt einmal mehr, dass eine Geschichte mehrere Seiten hat und je nach Darstellung in unterschiedliche Richtungen gelenkt werden kann.

Die Geschichte war anders als erwartet und für mich persönlich besonders. Sie beinhaltet interessante Ansätze und Ideen. Ich mochte sie und fand einige aufgeworfene Themen und Gedankengänge sehr anregend. Das Hörbuch ist gut vertont. Allerdings würde ich allen Interessierten eine Lese- oder Hörprobe ans Herz legen, um besser abschätzen zu können, ob man persönlich die Geschichte und die Art ihrer Präsentation mögen könnte.